Zwanghafte Gier
natürlich recht«, sagte Jude widerwillig. »Wenn Frankie ihn mag ...«
Alex lächelte. »Der liebe Gott hat allerhand Kostgänger, Jude.«
52
»Der Doc sagt, du könntest bald wieder nach Hause, Baby.«
Frankie nickt Bo zu und lächelt schief.
»Er sagt, das sei okay, weil ich auch da sein werde«, sagt Bo.
»Gut«, sagt Frankie, obwohl das mit ihrer schweren Zunge mehr wie »uuut« klingt.
»Du willst doch, dass ich da bin?«, fragt Bo.
Sie nickt, denn das fällt ihr leichter als zu sprechen, und sie weiß durchaus, wie komisch ihre Stimme klingt – als wäre sie betrunken. Alex schimpft manchmal mit ihr, weil sie so sprechfaul ist. Nicht unfreundlich – Alex ist nie unfreundlich, immer geduldig –, aber sie sagt Frankie immer wieder, je mehr sie das Sprechen üben würde, desto schneller würde alles sich wieder normalisieren.
Hier drin ist aber nichts normal, am allerwenigsten sie selbst mit ihrer schweren, schwachen, rechten Seite, und manchmal – vor allem, wenn sie aufwacht – überkommt sie Panik. Dann kann sie sich nicht mehr erinnern, wo sie ist und was sie hierher gebracht hat. Schließlich aber fällt ihr der Schlaganfall wieder ein, und einen Augenblick lang ist sie entsetzt und verärgert, doch dann kommt sie mehr und mehr zu Bewusstsein, beruhigt sich und hat das Gefühl, dass es vielleicht doch nicht so schlimm ist.
Besonders wenn Bo hier ist.
Die Hälfte der Zeit ist jemand bei ihr und nervt sie, ihre gelähmte Hand zu bewegen, den Arm und das Bein; oder Alex ist da und redet auf sie ein, sie solle die Sprachübungen machen. Und Alex sagt, wenn Frankie zu Hause ist, könne sie zu ihr kommen und offiziell Sprachtherapie mit ihr machen. Obwohl Frankie sich nicht wirklich hat daran erinnern können, woher sie die Frau kannte, bis Alex es ihr gesagt hatte, kann sie sich nicht vorstellen, warum sie das nicht tun sollte.
Alex ist eine nette Frau. Hier sind alle sehr nett zu ihr, aber besonders Alex verhält sich wie eine Freundin, als würden sie einander schon seit Jahren kennen. Alex hat ihr bei vielen Dingen geholfen, auch beim Füllen von Erinnerungslücken. Sie hat Frankie erzählt, dass sie anderen Leuten hilft, ihre Häuser adrett und sauber zu halten, und dass sie in einem hübschen Haus in Rottingdean wohnt.
Ihrem Zuhause.
Zuhause ... der Begriff ist ein wenig verschwommen.
Das ist nur eines der vielen Dinge, die Frankie nicht richtig erfassen kann. Warum, zum Beispiel, macht es ihr kaum etwas aus, bestimmte Dinge nicht selbst tun zu können? Sie weiß nicht, warum es so ist, aber so ist es wirklich.
»Regen Sie sich nicht auf«, sagen die Leute immer zu ihr, wenn sie irgendetwas nicht zustande bringt. »Das wird wieder besser.«
Bo sagt so etwas nicht zu ihr.
Bo ist einfach nur still und zärtlich und hält ihre Hand.
Das gefällt ihr. Der große, hübsche Mann mit dem dunklen Aussehen eines Zigeuners hält ihre Hand.
Sie liebt das.
Jetzt hat sie sich daran erinnert, dass sie ihn einmal geliebt hat – und das nicht nur, weil er es ihr gesagt hat. Sie ist sich ziemlich sicher. In jedem Fall sicher genug, um ihm für seine Anwesenheit dankbar zu sein.
»Ich werde mich um dich kümmern, Baby«, sagt Bo jetzt, und seine Augen sind freundlich. »Ich bekomme hier verschiedene Dinge gezeigt, und ich werde dir genauso gut helfen können wie jeder andere.«
Frankie lächelt wieder.
»Wenn wir wieder nach Hause gehen«, sagt er.
Sie versucht erneut, an zu Hause zu denken. Sie schließt die Augen und versucht, es heraufzubeschwören, aber da ist nur ein Durcheinander in ihrem Kopf, und es ist zu ermüdend, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.
Also lässt sie es.
53
Der Beginn von Judes neuem Job in Hove in der ersten Septemberwoche und die endgültigen Pläne für Frankies Heimkehr aus dem Royal Sussex – es geht direkt nach Hause, nicht über die Reha, größtenteils aufgrund von Bolins Versicherung, dass er sich Vollzeit um sie kümmern werde – fielen mit dem Beginn des Sommers zusammen, der endlich in Form einer Hitzewelle und Südwind aus Richtung Afrika kam.
Die Hotels in Brighton wurden immer voller – wie auch die Strände.
Auf der neuen Baustelle in Hove zogen die Männer die Oberteile aus und schütteten sich mehr und mehr kalte Getränke in den Hals. Die meisten genossen die Wärme und den Sonnenschein, aber Jude, der Hitze nie gemocht hatte, war bei jedem Sonnenuntergang völlig erschöpft.
»Bei dem Wetter bin ich einfach nicht gut«, entschuldigte er
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