Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
gnädigster Herr«, versetzte la Ramee.
»Wenn er Euch hierzu Zeit läßt«, murmelte der Herzog.
»Was spricht der gnädige Herr?« fragte la Ramee.
»Der gnädige Herr spricht: Ihr sollet die Börse des Herrn Kardinals nicht schonen, der so gütig war, unser Jahresgehalt zu übernehmen.« La Ramee blieb an der Türschwelle stehen.
»Wen befiehlt der gnädige Herr hierher zu schicken?«
»Wen Ihr wollt, nur nicht Grimaud.«
»Somit den Offizier der Wachen?« »Mit seinem Schachbrett?«
»Ja.«
La Ramee entfernte sich.
Er ließ die Wachen unter irgendeinem Vorwande eine nach der anderen hinausgehen. »Nun?« fragte der Herzog, als sie sich allein befanden.
»Nun,« entgegnete la Ramee, »Ihr Abendessen ist bestellt.«
»Ah!« rief der Prinz, »und worin wird es bestehen? Sagt an, mein Herr Haushofmeister.«
»Der gnädigste Herr hat versprochen, sich in dieser Hinsicht auf mich zu verlassen.«
»Wird auch eine Pastete kommen?«
«Ich glaube, so hoch wie ein Turm.«
»Von dem Nachfolger des Vaters Marteau gebacken?«
»Sie ist bestellt.«
»Und sagtest du auch, daß sie für mich gehöre?«
»Das habe ich ihm gesagt.«
»Und was gab er zur Antwort?«
»Er wolle sein möglichstes tun, um Eure Hoheit zufriedenzustellen.«
»So ist es recht«, sprach der Herzog und rieb sich die Hände.
»Zum Kuckuck, gnädigster Herr,« rief la Ramee, »wie Sie doch locker zu werden anfangen! Seit fünf Jahren sah ich bei Ihnen keine so heitere Miene als in diesem Augenblicke.« Der Herzog fühlte, er habe sich nicht genugsam zu beherrschen gewußt; aber als wäre in diesem Augenblick, wo er nach der Tür horchte und sah, eine Ablenkung der Gedanken von la Ramee dringlich vonnöten gewesen, trat Grimaud ein und gab la Ramee einen Wink, daß er ihm etwas mitzuteilen habe. La Ramee trat zu Grimaud, der leise mit ihm sprach. Mittlerweile bekam der Herzog seine Fassung wieder und sagte: »Ich habe diesem Menschen bereits untersagt, ohne meine Erlaubnis einzutreten.«
»Gnädigster Herr,« versetzte la Ramee, »Sie müssen ihm vergeben, da ich ihn hierher bestellt habe.«
Ein Abenteuer der Marie Michon
Um dieselbe Zeit kamen zwei Männer zu Pferde mit einem Bedienten nach Paris und ritten durch die Faubourg Saint-Marcel. Diese beiden Männer waren der Graf de la Fère und der Vicomte von Bragelonne. Die zwei Reisenden hielten in der Straße du Vieux-Colombier bei dem Gasthause »zum grünen Fuchs« an. Athos kannte dieses Wirtshaus schon seit langer Zeit. Er war dort mit seinen Freunden hundertmal zusammengekommen, doch waren seit zwanzig Jahren, von den Wirtsleuten an, gar mannigfaltige Veränderungen darin vorgegangen. Die Reisenden übergaben ihre Pferde den Aufwärtern, und da die Tiere von edler Rasse waren, so empfahlen sie ihnen dafür die größte Sorgfalt: sie sollten denselben nur Stroh und Hafer geben und ihnen die Brust und die Beine mit warmem Wein waschen, da sie an diesem Tage zwanzig Stunden zurückgelegt hatten. Nachdem sie sich also vorerst mit ihren Pferden beschäftigt hatten, wie es wahrhafte Reiter tun sollen, so begehrten sie für sich zwei Zimmer. »Rudolf, du wirst deinen Anzug ordnen«, sagte Athos; »ich will dich jemand vorstellen.«
»Heute noch, Herr Graf?« fragte der junge Mann.
»In einer halben Stunde.« Der junge Mann machte eine Verbeugung.
»Höre,« sprach Athos, »pflege dich gut, Rudolf, ich will, daß man dich schön finden möge.«
»Herr Graf,« versetzte der junge Mann lächelnd, »ich hoffe doch, es handle sich nicht um eine Heirat. Sie wissen, was ich Louise zugesagt habe.« Nun lächelte auch Athos und sagte: »Nein, sei unbesorgt, wiewohl ich dir eine Frau vorstellen werde.«
»Eine Frau?« fragte Rudolf.
»Ja, und ich wünsche sogar, du möchtest sie liebgewinnen.«
Der junge Mann blickte mit einer gewissen Angst auf Athos, aber bei dessen Lächeln beruhigte er sich bald wieder. »Wie alt ist sie?« fragte der Vicomte von Bragelonne.
»Lieber Rudolf,« entgegnete Athos, »merke dir ein für allemal, daß man eine solche Frage niemals stellt. Kannst du auf dem Gesicht einer Frau ihr Alter lesen, so ist es unnötig, sie darum zu befragen; und kannst du es nicht mehr, so ist es indiskret.«
»Und ist sie schön?«
»Sie hat vor sechzehn Jahren nicht bloß als die hübscheste, sondern auch als die anmutvollste Frau in Frankreich gegolten.«
Diese Antwort beschwichtigte den Vicomte gänzlich. Athos konnte keine Absichten haben mit ihm und einer Frau, welche ein
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