Zwei auf Achse
dreihundert Metern nichts aus.“
„Na klar, Mensch!“ rief Joachim. „Das hätte ich auch vorgeschlagen!“
„Nicht wahr?“ sagte Herr Tepel. „Das müßte doch möglich sein, sollte man meinen? Aber der Mann streifte meine Hand von seinem Ärmel, lachte mir ins Gesicht und ging fort. Und dieses Lachen, Kinder, war es, das mich fast zum Mörder gemacht hätte! Ich fühlte mich verhöhnt, ins Innerste getroffen und verlor völlig die Kontrolle über mich. Blindwütig stürzte ich drei Schritte vor, wo meine Axt am Holzstapel lehnte, erhob sie, zögerte einen Blitzschlag lang — und war, Gott sei es gedankt, nicht mehr in der Lage, sie auf den Kopf des Mannes niedersausen zu lassen. Kraftlos ließ ich sie sinken, setzte mich auf den Hauklotz und sah mit leeren Augen, wie der Mann sein Auto bestieg und davonfuhr. Er hatte nicht gemerkt, wie nahe er dem Tode gewesen war!“
Herr Tepel blickte Lutz an.
„Es hat nicht viel daran gefehlt“, sagte er, „nur eine Winzigkeit, glaub es mir, und ich hätte den Mann erschlagen. Natürlich bin ich froh, daß ich es nicht getan habe, daß ich im entscheidenden Moment wieder Gewalt über mich gewann, aber ich weiß seitdem, wie schnell ein Mensch zum Verbrecher werden kann.“
„Na, hören Sie mal“, rief Joachim, „der Mann hatte Sie doch durch sein dummes Gelächter bis zum Äußersten gereizt! Wenn Sie ihn getötet hätten, wäre er selber schuld gewesen, und Ihnen hätte man bestimmt mildernde Umstände zugebilligt.“
„Richtig“, bestätigte Herr Tepel, „der Mann hatte mich gereizt, sehr gereizt! Aber alle Menschen, die zum Verbrecher werden, fühlen sich durch irgend etwas gereizt oder getrieben. Ganz ohne Grund begeht niemand eine Straftat, auch wenn es manchmal so scheinen mag. Wenn ein Psychiater, so ein Seelenarzt, wißt ihr, sie befragt, kommt er meistens dahinter, weshalb sie ihr Verbrechen begangen haben, und kann es in vielen Fällen sogar entschuldigen oder mindestens verstehen. Und darum meine ich, Lutz, solltest du nicht zu schlecht von deinem Vater denken, bevor du weißt, weshalb er straffällig geworden ist. Vielleicht war er in einer ähnlichen Lage wie ich vor drei Monaten oder war nur in einen unglücklichen Verkehrsunfall verwickelt. Das kann doch heute jedem passieren.“
„Mein Vater hat irgendein Ding gedreht“, sagte Lutz düster. „Für so was gibt es keine Entschuldigung. Zwei Jahre hat er gekriegt.“
„Er sitzt in Regensburg“, ergänzte Joachim. „Morgen wollen wir ihn besuchen. Gestern ging es nicht mehr, da waren wir zu spät dran.“
„Soso“, sagte Herr Tepel. „Na, da wird er sich bestimmt sehr freuen.“
Lutz hob die Schultern.
„Das ist noch nicht ‘raus“, sagte er, „er weiß ja gar nicht, daß es mich gibt. Vielleicht leugnet er seine Vaterschaft und will sich gar nicht mit mir unterhalten.“
„Hast du denn Beweise dafür, daß er dein Vater ist?“
„Nein, natürlich nicht, aber eigentlich kommt nur er in Frage, denn die beiden andern Männer, mit denen wir gesprochen haben, sind es garantiert nicht.“
„Du sagst, er lebt nicht mit deiner Mutter zusammen“, nahm Herr Tepel wieder das Wort, „hat er denn eine andere Frau geheiratet?“
„Ja, aber die hat sich von ihm scheiden lassen, als er ins Gefängnis kam.“
„Aha! Na, dann bin ich beinah sicher, daß er sich über euern Besuch freuen wird. Ich jedenfalls wäre froh, wenn ich so einen Jungen wie dich zum Sohn hätte.“
Lutz wurde rot.
„Ich möchte nur wissen, was er für ein Mensch ist, und auch, wie er aussieht natürlich. Wenn man gar nicht weiß, was man für einen Vater hat, kommt man sich wie ein halber Mensch vor.“
„Das verstehe ich“, sagte Herr Tepel und nickte. „Und doch gibt es viele Kinder, die ihren Vater nie zu Gesicht kriegen, weil er entweder schon vor ihrer Geburt gestorben ist oder weil die Mutter es verhindert, daß sie ihn kennenlernen.“
„Wenn meine Mutter das doch nur getan hätte!“ rief Joachim. „Auf meinen Vater hätte ich gern verzichtet.“
„Bist du mit ihm nicht zufrieden?“
„Nee! Der Mann ist ein Teufel in Menschengestalt! Wenn er eines Tages abkratzt, mache ich drei Kreuze an der Tür. Was meinen Sie denn, warum ich von zu Hause abgehauen bin? Nur, weil er mir das Leben zur Hölle macht. Der haut auf mir herum wie auf einem Hackklotz. Für jede Kleinigkeit kriege ich Prügel. Das vergesse ich ihm nie!“ Und grimmig fügte er hinzu: „Aber wehe ihm, wenn ich eines Tages
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