Zwei auf Achse
Mutter“, erklärte er, „sind nicht miteinander verheiratet. Lutz lebt bei seiner Großmutter und kennt seinen Vater gar nicht. Seine Mutter kennt er natürlich, aber die ist nicht gerade die Allerbeste. Und darum haben wir uns in die Bahn gesetzt, um seinen Vater zu suchen.“
„So“, sagte Herr Tepel erstaunt, „und habt ihr ihn gefunden?“
„Ja, das heißt, wir wissen nun wohl, wer er ist, aber er war leider nicht zu Hause, als wir ihn begrüßen wollten.“
„Ich verstehe“, sagte Herr Tepel, „er ist verreist, und ihr wollt nun hier im Wald auf seine Rückkehr warten?“ Lutz schüttelte den Kopf.
„Nein, darauf können wir nicht warten“, sagte er. Und mit zitternder Stimme fuhr er fort: „Er sitzt nämlich im Gefängnis! Ich bin der Sohn eines Verbrechers!“
Nach diesen Worten hob er unsicher den Kopf, um zu sehen, wie Herr Tepel darauf reagierte.
Der blieb jedoch genauso ruhig sitzen wie vorher, streichelte den Hund und sog an seiner Pfeife, und man merkte seinem Verhalten nicht an, daß er soeben etwas Unerhörtes vernommen hatte. Allerdings schwieg er lange, und das konnte man wohl als Wirkung des Gehörten deuten.
Endlich ergriff er wieder das Wort.
„Nun bist du natürlich sehr enttäuscht“, sagte er, „und schämst dich, einen Vater zu haben, der im Gefängnis sitzt?“
Lutz nickte und konnte nicht verhindern, daß ihm die Tränen in die Augen traten.
„Das kann ich dir nachfühlen, sehr gut kann ich dir das nachfühlen. Mit einem Vater im Gefängnis kann man keinen großen Staat machen. Wer im Gefängnis sitzt, ist ein Verbrecher, ein Schurke, ein böser, gemeiner, nichtswürdiger Mensch, mit dem man nichts zu tun haben möchte, stimmt’s?“
Als Lutz zaghaft nickte, fuhr er grimmig fort: „Dabei wird man schneller zum Verbrecher, als man glaubt! Oft bedarf es nur eines winzigen Anstoßes, einer einzigen unbedachten Sekunde, und das Unglück bricht über einen herein und zerstört das ganze Leben. Vor einem Vierteljahr wäre ich auch fast ins Gefängnis gekommen, es hat nur ganz wenig daran gefehlt. Ich hätte in meiner Wut nämlich beinah einen Menschen erschlagen. Dann wäre ich auch ein Verbrecher gewesen, ein böser, gemeiner Schurke, ein Mörder, vor dem man ausspuckt.“
„Sie ein Mörder?“ rief Lutz ungläubig. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen!“
„Nun, ich bin ja keiner geworden“, sagte Herr Tepel lächelnd, „Gott sei Dank! Aber es hat nicht viel daran gefehlt.“
„War es ein Fall von Notwehr?“ fragte Joachim. „Hat Sie jemand angegriffen?“
„Nein, nein“, antwortete Herr Tepel, „der Mann, den ich in ohnmächtiger Wut fast getötet hätte, war vielleicht ein wenig phantasielos, aber ein anständiger Mensch. Er wäre ein unschuldiges Opfer geworden.“
Da die Jungen ihn verständnislos ansahen und er merkte, daß sie gern erfahren hätten, wie es zu dem Beinahe-Mord gekommen war, sah er sich genötigt, es ihnen zu erzählen. „Ihr habt gehört, wie ich zu meinen Verwundungen und meiner Frau, nicht aber, wie ich zu diesem Haus hier gekommen bin“, begann er. „Das muß ich vorweg berichten, damit ihr meine Handlungsweise versteht. Entschuldigt, wenn ich dazu ein bißchen weiter ausholen muß, es läßt sich nicht vermeiden. Also! Im Kriege, das wißt ihr sicherlich aus dem Schulunterricht, wurden durch Fliegerbomben und Granaten sehr viele Häuser zerstört. Darum herrschte noch Jahre später eine große Wohnungsnot.“
„Weiß ich!“ rief Lutz. „Meine Oma hat mir erzählt, daß sie fast zwei Jahre lang in einem ehemaligen Kohlenkeller gewohnt hat.“
„Ich hauste mit meiner Frau in einem winzigen Zimmer“, fuhr Herr Tepel fort, „in dem nicht mal ein Kleiderschrank Platz hatte. Dauernd lief ich aufs Wohnungsamt, so eine Einrichtung gab es damals, und suchte eine größere Wohnung. Aber es war einfach keine zu kriegen. Nach drei Jahren verzweifelten Suchens und Wartens endlich erlaubte mir die Gemeinde von Bärndorf, mich hier draußen anzusiedeln. Ich durfte mir ein Stück Wald roden und mein Haus bauen und brauchte nur eine geringe Pacht dafür zu bezahlen. Man wollte, das merkte ich wohl, ein gutes Werk an mir tun, ich tat den Leuten leid mit meinen schweren Verwundungen.
Natürlich war ich darüber sehr glücklich. Auch meine Frau, die sich vor keiner Arbeit scheut und fest zupacken kann, war begeistert von dem Gedanken, bald wieder ein Haus und ein Stück Land haben zu dürfen. Wir planten nicht lange, sondern
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