Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum
grausam, hörte er sagen, dass sie sich einen neuen Kater gekauft hatten.
»Ich verstehe nicht, warum der Doktor ihn nicht gleich eingeschläfert hat«, sagte die Grausame.
»Er ist ein gesundes Tier, die Wunde wird wieder heilen. Es ist ja nichts Lebenswichtiges, was er verloren hat.«
»Ein Rassekater ist nichts mehr wert, wenn er nicht vollkommen ist.«
»Als Zuchtkater hätten sie ihn noch immer halten können. Aber ich glaube, die suchten nur ein Dekorationsstück. Na, mir tut er leid. Er ist so ein süßer Flederwisch.«
»Willst du ihn denn nehmen?«, fragte die Grausame verächtlich.
»Ich wünschte, ich könnte es, aber noch ein Tier mehr in meinem Zoo, und mein Vermieter wirft mich aus der Wohnung. Wir werden ihn wohl ins Tierheim geben müssen.«
So kam es auch – und damit war Schluss mit dem angenehmen Leben.
Der tägliche Überlebenskampf war eine schockierende Erfahrung für ihn. Er musste sich gegen größere, gewandtere Katzen durchsetzen, um etwas vom Fressen zu ergattern, scheußliches Zeug übrigens, weit entfernt von den Leckereien, die er gewohnt war. Er fing sich Flöhe von den Streunern und Schläge von den Raufbolden ein, wurdevon jedem weichen Kissen vertrieben, das er versuchte für sich zu erobern, und musste mit der beständigen Häme leben, die die anderen über ihn ergossen.
Er magerte ab, verzog sich eingeschüchtert unter ein zerfetztes Sofa und wurde weitgehend vergessen.
Bis die alte Dame in Begleitung eines Jungen im Tierheim erschien und nach einem kompetenten Mauser fragte. Ganz gewiss stellte sie sich einen strammen Kater mit Fangqualitäten vor, denn sie sprach von einer Mäuseplage im Garten. Der Junge und die Dame entschieden sich für einen kräftigen Tiger, der sich dem Jungen freundlich genähert hatte. Doch als die Formalitäten abgewickelt waren, fiel der Blick der alten Dame auf die eine weiße Pfote, die er vergessen hatte, unter sein Versteck zu ziehen.
»Das ist aber kein Mauser, Frau Schneider«, erklärte die Angestellte des Tierheims. »Das ist unsere Problemkatze.«
Die Besucherin ächzte ein wenig, als sie auf die Knie ging, aber ihre Stimme war sanft und zärtlich.
»Ich wollte auf meine alten Tage eigentlich keine Katze mehr aufnehmen, aber dieser hier – ich kann ihn nicht hierlassen.«
Und auch er hatte Vertrauen gefasst – und er wurde nicht enttäuscht.
Das Leben wurde wieder lebenswert, auch wenn er nie über den Verlust seines Stolzes hinweggekommen war und vor allem, was ihm fremd war, eine Heidenangst hatte.
Er hätte wissen müssen, dass sein Glück nicht von Dauer sein konnte.
Seine Menschenfreundin hatte ihn verlassen, und seit Tagen war er nun alleine. Rettung gab es keine, die Türen waren verschlossen, das Futter aufgefressen, der langsame Hungertod rückte näher und näher.
Just als er sich damit abgefunden hatte, trat eine junge, rothaarige Frau in sein Heim.
Und sagte seinen Namen.
Das erste Maunzen klang erbärmlich leise.
Das zweite schon lauter.
Dann hatte sie ihn entdeckt.
Zwischen Angst und Hoffnung schwankend, klammerte er sich an ihr fest.
4. Hilfe aus der Nachbarschaft
Das Kätzchen war ganz still geworden, während ich es mit einer Hand streichelte und mit der anderen sein Hinterteil festhielt. Ein wenig ratlos stand ich so in dem Laden, als plötzlich die Tür quietschend aufging.
Mein Findling begann zu zappeln und versuchte, sich aus meinem Griff zu winden. Ich packte fester zu und drehte mich zur Tür um. Ein schlaksiger Junge in ausgebeulten Jeans und einem überdimensionalen Sweatshirt, die Baseballkappe verkehrt herum auf dem Kopf, stand da und grinste mich an.
»Fein. Sie haben den Plunder gefunden!«, stellte er fest.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte ich nüchtern und zuckte ebenfalls zurück, als er näher kam und seine Hand ausstreckte.
»Er hat Angst, wissen Sie, aber mich mag er. Ich habe mich schon gefragt, was mit ihm passiert ist, wo doch die Frau Schneider gestorben ist.«
Es brauchte eine Weile, bis ich endlich begriff.
»Plunder? Das ist der Name dieser Katze?«
»So hat sie ihn genannt. Darf ich?«
Verdutzt nickte ich und ließ es zu, dass der Junge über das verfilzte Fell strich. Das Tier schien ihn wirklich zu kennen, das Zittern ließ endlich nach, und ein ganz, ganz leises Vibrieren durchdrang den mageren Körper.
»Sie müssen ihn bürsten. War er hier im Laden?«
»Ich denke, ja.«
»Er braucht Futter und was zu trinken. Ich heiße Olli. Sind Sie die neue
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