Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum
davon abhalten, mich zu piksen.«
Anja verschluckte ein kleines Glucksen und ging neben Kris zu der Behandlungskabine.
Die Ärztin, grauhaarig, energisch, lächelnd, begrüßte ihn.
»Sieger oder Verlierer?«, fragte sie heiter.
»Sieger.«
»Wettkampf oder wirkliches Leben?«
»Real life.«
»Mit wie viel anderen habe ich zu rechnen?«
Mit geschickten Fingern löste sie den Verband und warf ihn in den Abfalleimer.
»Fünf, aber einer geht auf Anjas Kappe, und einen hat Stefan auf dem Gewissen.«
»Aha, auch eine Schlägertype«, meinte die Ärztin und musterte Anja neugierig. »Und was war das hier? Sieht mir stark nach Glasscherben aus.«
»Abgebrochene Flasche.«
»Wie unappetitlich. Ausziehen!«
»Nein.«
»Aber natürlich. Wie soll ich sonst die Wunde desinfizieren.«
»Gar nicht.«
»Wer hat aus der Flasche getrunken, die das hier verursacht hat?«
»Okay. Überzeugt.«
Die Ärztin half ihm, sich aus dem Sweatshirt zu schälen, und zwinkerte Anja zu, als es seinen Kopf verhüllte.
»Hübsch, nicht? Ich meine, wenn man auf solche vernarbten Haudegen steht.«
»Sie haben wohl schon einige Muster reingestickt, Frau Doktor?«
»Sie ist immer fix mit der Nadel bei der Hand«, knurrte Kris, als er das Sweatshirt abgestreift hatte und wieder sehen konnte. »Du könntest dich übrigens ruhig schamhaft abwenden, wenn ein halbnackter Mann vor dir sitzt.«
»Warum sollte ich? Ich kann Blut sehen«, erwiderte Anja.
»Das ist die rechte Einstellung, junge Frau. Und nun lenken Sie den Helden mal ab, damit ich ihn verarzten kann, ohne dass er mir wieder die Station zusammenbrüllt. Er ist nämlich ein bisschen wehleidig.«
»Ja, das habe ich auch schon gemerkt. Kris, guck mal!«
Kris wollte nicht hinschauen. Nein, wollte er nicht. Aber was konnte ein halbnackter Mann schon tun, wenn eine Frau mitäußerst lasziven Bewegungen begann, sich die Bluse aufzuknöpfen? Und sie dann ganz langsam über die Schulter gleiten ließ. Und dann auch noch so weit runterschob, dass über dem linken Busen zwei Ohren sichtbar wurden.
Ohren?
Ohren.
Spitze Katzenohren.
»Ist der BH für besondere Anlässe«, schnurrte Anja und zeigte mehr davon. Zwei Katzengesichter starrten Kris an. Er starrte zurück. Allerdings konnte das kunstvolle Design des Dessous seine Phantasie nicht ganz ausschalten.
»Höchst originell«, sagte die Ärztin bewundernd und legte die Spritze aus der Hand. »Sie lieben Katzen?«
»Sehr. Und ich engagiere mich für den Tierschutz. Deswegen sind wir ja jetzt hier.«
»Ich verstehe. Reichen Sie dem Helden hier mal ein Papiertuch, er fängt gleich an zu sabbern.«
»Ihr macht mich wahnsinnig!«, stöhnte Kris.
»Aber gerne doch«, kicherte Anja und knöpfte die Bluse wieder zu. »Siehst du, hat gar nicht gepikt.«
»Ihr habt mich hinterhältig überlistet.«
»So sind wir Frauen. Und nun mal wieder die Bürokratie, bis die Betäubung wirkt.«
Danach versorgte die Ärztin schnell und gewandt die Wunde, klebte ein Verbandspflaster darüber, holte einen Tablettenstreifen hervor und drückte ihn Anja in die Hand.
»Sorgen Sie dafür, dass er sie nimmt.«
»Das tut sie nicht. So stehen wir nicht zueinander.«
»Nicht?«
»Und ich brauche auch keine Schmerzmittel«, warf Kris ein.
»Aber das hier«, sagte die Ärztin und pustete ihm über den Verband »Heile, heile Gänschen, es wird ja wieder gut. Das Kätzchen hat ein Schwänzchen, es wird ja wieder gut. Heile, heile Mausespeck, in hundert Jahr ist alles weg.«
»Du solltest der jungen Frau was gegen diese Erstickungsanfälle geben«, grollte Kris und betrachtete die haltlos lachende Anja böse.
Sie japste nach Luft und klammerte sich an der Liege fest.
»Sie … Sie … Sie sind seine Mutter?«
»Ich gebe es ungerne zu, aber – ja, ich bin die Mutter dieses Eisenfressers.«
»Sie sind wundervoll!«
Kris stand auf und meinte: »Darin sind wir uns zufällig mal einig. Aber dürfte ich meine Blöße jetzt wieder bedecken?«
Frau Dr. Grimal half ihrem Sohn in das Sweatshirt und die Jacke und zauste ihm liebevoll die Haare.
»Pass auf dich auf, mein Junge.«
»Immer doch.«
Er umarmte sie rasch und sah die Traurigkeit über ihre Züge huschen. Aber gleich hatte sie sich wieder im Griff und verabschiedete sich heiter von Anja. Die wiederum hatte noch immer ein breites Grinsen auf den Lippen und sagte fröhlich: »Komm, Mausespeck, ich fahre dich nach Hause und schlage dich k. o., damit ich die Tabletten in dich
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