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Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum

Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum

Titel: Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Es war genau wie damals.«
    »Es könnte sein, dass dein Mensch in eine weitere Rauferei verwickelt wurde. Man kann so etwas spüren, wenn ein Band besteht.«
    »Du meinst, ihm ist etwas passiert?«
    »Machst du dir Sorgen um ihn?«
    Nachdenklich putzte Raufer seinen Schwanz glatt. Ja, ihm war unbehaglich. Die Vorstellung, dass Kris so etwas Furchtbares passiert sein könnte wie ihm, gefiel ihm nicht. Aber warum? Kris war ein Mensch. Kein Katzengefährte.
    Oder doch?
    Nimoue setzte sich neben ihn, und ihre Flanken berührten sich. Sie schnurrte ein wenig, was Raufer beruhigte, und dann begann sie zu erzählen.
    »Ich bin zusammen mit einem kleinen Mädchen aufgewachsen, Raufer. Ich war noch ganz jung, als sie zur Welt kam. Natürlich, Menschen brauchen viel länger alswir Katzen, um erwachsen zu werden, aber mit Menschenwelpen lässt es sich wunderbar spielen. Sie verstehen uns noch auf die richtige Art und Weise. Sie brauchen keine Worte, ihr Geist ist offen und klar. Wir hatten ein sehr enges Band geknüpft, Raufer. Ich schlief in ihrem Bett, ich saß auf ihrem Tisch, ich tobte mit ihr im Garten herum. Wenn sie nicht bei mir war, sehnte ich mich nach ihr. Und wenn sie sich wehtat, fühlte ich es. Eines Tages ging sie fort. Sie kam wieder zurück. Und ich wusste, was ihr geschehen war.«
    Nimoues blaue Augen waren dunkel vor Schmerz und Trauer.
    »Schlimm?«, flüsterte Raufer betroffen.
    »Weitaus und viel, viel schlimmer. Wir wollen nicht darüber sprechen. Ich verließ mein Haus und suchte ihre Seele. Auch ich wäre beinahe gestorben. Aber meine Zeit war es noch nicht. Daran hat Anja mich erinnert.«
    »Hast du … hast du die Seele deiner Freundin gefunden?«
    »Ja, das habe ich.«
    Nimoue stand auf und tupfte mit der Pfote an ein silbernes Figürchen, das von dem Tannenzweig baumelte.
    »Die Menschen machen Bilder davon – ungeschickte. Aber in etwa gleicht das hier der Seele des Menschen.«
    »Warum hängen sie Seelen in Äste, Ehrwürdigste?«
    »So sehen sie es nicht. Das ist Weihnachtsschmuck. Und Engel verwenden sie gerne dafür. Sie glauben, dass in der Dunklen Nacht die Engel den Frieden künden.«
    »Menschen sind komisch. Es gibt doch gar keine Engel.«
    Nimoue seufzte leise. »Menschenwissen ist so beschränkt, Raufer. Darum müssen sie so vieles einfach glauben, was wir wissen. Man muss es einfach akzeptieren.«
    »Man kann ihnen nichts beibringen?«
    »Man kann schon, wenn man das rechte Band mit ihnen knüpft. Damit aber läuft man Gefahr, dass man mit ihnen fühlt.«
    Tief in Gedanken versunken legte Raufer sein Kinn auf die Pfoten. Wahrscheinlich war genau das passiert. Er hatte ein Band zu Kris geknüpft. Und nun war er verantwortlich für ihn. Unwiederbringlich. Die Erkenntnis zurrte und zerrte an ihm, denn das bedeutete das Ende seines freien Streunerlebens. Er würde auf ewig hier in dem Haus eingesperrt sein.
    Dafür erhielt er natürlich gutes Futter, durfte sich warme, weiche Ruheplätze aussuchen, wurde gekrault und gestreichelt. Aber keine Jagd mehr, keine herzhafte Balgerei, kein Kratzen an der Rinde eines Baumes, kein unbeaufsichtigtes Herumstreunen …
    »Dir macht das nichts aus, Nimoue?«
    »Nein, mir macht das nichts aus. Ich habe meine Aufgabe gewählt und sie angenommen. Ich werde sie bis zum Ende durchführen. Aber du bist jung, Raufer. Es fällt dir schwer. Das verstehe ich. Aber du hast ja noch ein paar Tage Zeit, bis du dich endgültig entscheiden musst.«
    »Habe ich?«
    »Bis Weihnachten.«
    »Oh … Ach ja. Dann sind die Pfoten wieder ganz. Ja. Ich denke nach, Ehrwürdigste.« Und dann kam ganz leise: »Ich hoffe, er hat sich nicht seine Pfoten wehgetan. Heute, meine ich.«
    Die Ehrwürdigste schob die Schnurrhaare zu einem Lächelfächer zusammen, und dann schlappte sie Raufer einmal über die Stirn.
    Um sich von seinen düsteren Gedanken abzulenken, fragte er nach: »Weihnachten – erzähl mir mehr über Weihnachten und was es den Menschen bedeutet. Du weißt so viel, Ehrwürdigste.«
    Nimoue legte sich gemütlich nieder und schloss für eine Weile die Augen. Einen Moment später kam sie seinem Wunsch nach.
    »Es geht ihnen vor allem um Trost in der Dunkelheit. Menschen können ja nicht so gut sehen wie wir, darum fürchten sie sich, wenn die Helligkeit schwindet. Also rücken sie näher zusammen. An Weihnachten vor allem die Familien. Das musst du auch wissen – Menschen hängen viel stärker an ihren Eltern und Geschwister als wir. Sie haben eine ganze Wissenschaft

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