Zwei kunterbunte Freundinnen | Das Chaos wohnt nebenan
Damm. Daran hätte ich gleich denken können.«
Er drückte mit seinem langen, dünnen Zeigefinger auf die rote Taste. Die Maschine stöhnte laut auf und hickste ein paarmal, ehe sie mit einem letzten Seufzer verstummte. Plötzlich war es ganz still in dem Kellerraum.
»Herr Johannsen«, sagte Maibritt noch einmal, »können Sie mich zu Kurt hochheben? Ich muss mit meiner kleinen Schwester reden.«
Weder Mama noch Papa protestierten, als der Hausmeister Maibritt mit seinen berüchtigten Schlangenarmen packte und behutsam auf den Metallkasten setzte. Kurt reichte ihr die Hand und hielt sie fest, und sie hatte überhaupt keine Angst.
»Juni«, sagte sie ganz ruhig, als sie ihren Kopf in die Luke geschoben hatte. »Kurt ist ein sehr netter Polizist. Schieb dich jetzt so weit nach hinten, dass er deine Füße zu fassen kriegt. Er will dich nicht festnehmen, Juni. Kurt ist mein Freund.«
»Du hast einen Freund, der Polizist ist?«
, fragte Juni.
»Das wusste ich ja gar nicht.«
»Aber so ist es«, sagte Maibritt energisch. »Und jetzt schieb dich nach hinten, Juni. Kriech vorsichtig rückwärts.«
Unten vor der Maschine war es mucksmäuschenstill. Selbst Märzbritt starrte mit offenem Mund an die Decke.
»Ich stecke fest!«
, weinte Juni.
»Nein, tust du nicht«, sagte Maibritt. »Du hast nur Angst. Gerade eben bist du doch noch ein Stück weiter nach vorn gekrochen. Du sitzt nicht fest. Und jetzt kriech rückwärts, bitte. Ich bin hier, und Kurt, der nette Polizist, hilft dir runter. Er ist superstark.«
Juni schien sich auf alle Fälle schon mal zu beruhigen in dem Rohr.
»Kurt sieht ein bisschen aus wie Spiderman«, flüsterte Maibritt.
Die Wände in Junis Zimmer waren nämlich mit Spiderman-Postern tapeziert.
Juni sagte noch immer nichts. Es war so warm, dass Maibritt Salz schmeckte, als sie sich mit der Zunge über die Oberlippe fuhr.
»Vielleicht ist er ja Spiderman«, flüsterte Maibritt, die Hände wie ein Trichter um den Mund gelegt. »Verkleidet.«
Juni bewegte sich rückwärts. Im nächsten Augenblick sah Maibritt Junis rote Turnschuhe, höchstens einen Meter von ihrem Gesicht entfernt. Das Rohr machte nämlich einen Knick, deswegen war Juni aus ihrem Blickfeld verschwunden.
»Jetzt wird es etwas schwierig«, sagte Maibritt. »Du musst nämlich leicht nach rechts abbiegen.«
»Was ist rechts?«
, quengelte Juni.
»Die Hand mit dem Totenkopf-Tattoo ist deine rechte Hand. Dreh die Beine in die Richtung, wenn du weiterkriechst.«
Juni bog die Beine, den Popo und den Rest des Körpers in die richtige Richtung.
»Jetzt kann Herr Johannsen dir wieder runterhelfen«, flüsterte Kurt Maibritt zu. »Ich komm an Juni ran.«
Herr Johannsen hob Maibritt von dem Kasten, als wäre sie leicht wie eine Feder. Seine Arme hatten überhaupt nichts von einer Würgeschlange.
Mama fasste Maibritt an den Händen. »Mein Mädchen«, sagte sie und drückte sie so fest, dass es wehtat. »Mein Mädchen«, sagte sie noch ein zweites Mal und ließ Maibritts Hände los, um Juni in Empfang zu nehmen.
Juni war verschwitzt und rot und verschmiert im Gesicht, als sie um Mamas Hals hing und mit Küssen überschüttet wurde.
Kurt setzte sich auf den Rand des Maschinenkastens und hüpfte leichtfüßig auf den Boden.
Juni sah ihn mit tiefer Falte auf der Stirn an. »Du bist gar nicht Spiderman«, sagte Juni. »Du siehst noch nicht einmal so aus. Aber trotzdem danke, dass du mir geholfen hast.«
»Ja, tausend Dank«, sagte Papa.
»Tausend Millionen Dank«, sagte Omi.
»Tausend Millionen Trillionen Dank«, sagte Mama und drückte Juni noch ein bisschen fester an sich.
»Keine Ursache«, sagte Kurt und verneigte sich elegant.
»Bin ich eigentlich die Einzige, die Hunger hat?«, fragte Märzbritt. »Wenn ihr mich fragt, riecht es hier nach Würstchen und Schokolade.«
»Dem Hunger kann Abhilfe geschaffen werden«, sagte Herr Johannsen eifrig und winkte sie alle raus aus dem engen, warmen Maschinenraum. »Aber vorher muss ich die Lüftung wieder anstellen.«
Maibritt sagte nichts.
Maibritt dachte nach.
Ein seltsamer Tag, dachte sie. Sie war schlecht gelaunt aufgewacht, weil Juni auf ihren Boden gepinkelt hatte und Mama und Papa nicht aufstehen wollten. Dann hatte Maibritt vor dem Haus auf ihre Klassenkameraden gewartet, weil sie dachte, sie müsste zur Schule, dabei war doch Samstag.
Seitdem war so viel geschehen, dass sie sich wie ein anderer Mensch fühlte.
Ich bin nicht mehr so ängstlich und unsicher, dachte
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