Zwei kunterbunte Freundinnen | Das Chaos wohnt nebenan
Gelegenheit eine saubere Reserveunterhose dabeizuhaben, zum Beispiel, wenn man überraschend ins Krankenhaus musste. Die Pfleger fanden schmuddelige Unterhosen nämlich alles andere als toll, hatte Oma erklärt. Dass Papa selbst Arzt war und nie eine Extraboxershorts dabeihatte, war Oma egal.
Maibritt, ehrlich gesagt, auch.
»Wir haben zwanzig Grad«, sagte Papa vorsichtig. »Meinst du nicht, dass es etwas zu warm ist für eine Wollmütze?«
»Ich will aber Maibritts Mütze aufhaben«, bestimmte Juni. Und was Juni einmal bestimmte, wurde auch gemacht.
Juni war das Einzige, worüber Mama und Papa sich so richtig in die Haare kriegten. Sie waren sich öfter wegen irgendwelcher Sachen uneinig, und Papa verzweifelte jedes Mal, wenn Mama mal wieder besonders stur war. Aber richtig laut wurden sie nur die wenigen Male, wenn sie dachten, dass Maibritt schon schlief, und sie sich wegen Juni stritten.
Juni hatte einen kleinen Defekt im Gehirn, der dazu führte, dass sie noch hibbeliger als Mama war. Maibritt hatte schon öfter überlegt, ob Mama nicht vielleicht den gleichen Tick hatte. Papa jedenfalls war der Meinung, dass Juni Medikamente brauchte, um ruhiger zu werden, bevor sie in die Schule kam. Damit sie eine Chance hatte, sich mehr als dreißig Sekunden auf eine Sache zu konzentrieren. Seine Stimme klang fremd, wenn er mit Mama über Juni sprach, und danach konnte Maibritt meistens nicht mehr einschlafen. Jeder Streit endete damit, dass Mama sagte, sie liebe ihr Kind genau so, wie es ist, und so sollte es auch bleiben. Punktum. Dabei ahnten weder Mama noch Papa, dass Maibritt auf der Treppe saß und alles mitbekam. Das, was Papa Medikament nannte, nannte Mama Gift für den Körper. Maibritt konnte sich nicht entscheiden, wer recht hatte. Papa vielleicht, immerhin war er Kinderarzt.
Juni war auf alle Fälle das wildeste Kind auf der Welt. Aber auch total süß. Viel süßer als Maibritt, fand Maibritt. Juni hatte die größten blauen Augen, die man sich vorstellen konnte. Und süße kleine Rattenschwänze, selbst beim Schlafen. Außerdem war Juni ihre kleine Schwester, und sie konnte gar nichts dagegen tun, dass sie ihre kleine Schwester nun mal lieb haben musste. Zumindest, solange sie schlief und aussah wie ein kleiner Engel.
»Komm«, sagte Juni zu Märzbritt.
»Ihr könnt da nicht einfach hingehen«, sagte Maibritt. »Juni muss mich oder einen Erwachsenen dabeihaben …«
Bevor sie den Satz zu Ende gebracht hatte, waren Märzbritt und Juni aber schon wie vom Erdboden verschluckt. Maibritt hatte nicht gesehen, wo sie zwischen den vielen Menschen verschwunden waren.
Sie hatte sich so darauf gefreut, mit ihrer neuen besten Freundin über den Flohmarkt zu schlendern. Märzbritt war anders als alle anderen Mädchen, die sie kannte, aber es war nicht schwer zu sehen, dass die Leute sie mochten. Nicht nur Mama. Alle Erwachsenen begegneten Märzbritt mit einem Lächeln. Die Polizisten nicht direkt, aber kurz bevor sie aufgetaucht waren, war Märzbritt auch gerade wegen des Posters ausgerastet.
Maibritt dachte an ihren zweiten neuen Freund, Kurt. Sie hatte fast schon wieder vergessen, dass Mama ihn angelogen hatte. Als es ihr jetzt wieder einfiel, wäre sie am liebsten nach Hause gelaufen, um sich unter ihrer Bettdecke zu verstecken. Und zu allem Überfluss entdeckte sie auch noch eine Gruppe Mädchen aus der 4 A, der Klasse, in die Robert ging.
Maibritt versuchte, hinter einem Stand in Deckung zu gehen, an dem altes Geschirr verkauft wurde. Tassen und Schalen, große Essteller und eine alte Suppenterrine, die aussah wie Omas Suppenterrine, die zu Bruch gegangen war, als Juni
Michel in der Suppenschüssel
gespielt hatte.
»Wo ist Juni?«, fragte Mama plötzlich. Maibritt hatte sie nicht kommen hören.
»Wo ist Juni?«, fragte Papa fast gleichzeitig.
Beide starrten Maibritt an.
»Sie ist mit Märzbritt weggegangen«, sagte Maibritt leise. »Ich habe noch gesagt …«
»Du hast Juni mit Märzbritt mitgehen lassen?«, rief Papa so laut, dass die Leute sich zu ihm umdrehten.
»Bist du verrückt?«, sagte Mama und wirkte ungefähr so aufgelöst wie vorhin im Garten, als sie in der Luft hing und dachte, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen.
Die Mädchen aus der Vierten schauten neugierig zu ihnen rüber und kicherten, als wäre Maibritt das Witzigste, was sie seit Langem gesehen hatten.
Da passierte etwas, das nur ganz selten passierte.
»Es ist nicht meine Schuld, dass Juni weg ist!«, fauchte Maibritt
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