Zwei kunterbunte Freundinnen | Das Chaos wohnt nebenan
gebissen«, wiederholte Maibritt.
»Hat er nicht«, sagte Märzbritt.
Zwischen Rambos Zähnen hing ein Fetzen von Roberts Jeans. Märzbritt nahm ihn schnell weg und steckte ihn tief in ihre Hosentasche.
»Rambo hat niemanden gebissen«, wiederholte Märzbritt entschieden. »Alles klar?«
»Wie meinst du das?«, fragte Maibritt. »Ich hab doch selber gesehen, wie er …«
»Jetzt hör mal gut zu«, sagte Märzbritt ernst und fasste Maibritt am Handgelenk.
Ihre Hand fühlte sich weich, warm und ziemlich klebrig an.
»Wenn die Polizei spitzkriegt, dass Rambo jemanden gebissen hat«, sagte Märzbritt mit finsterer Miene, »wird er eingeschläfert.«
»Einge… eingeschläfert?«
»Ja«, bestätigte Märzbritt und nickte langsam. »Hunde, die Kinder beißen, werden eingeschläfert. Aber Rambo hat niemanden gebissen, oder?«
»Doch«, sagte Maibritt.
Märzbritts Augen verfinsterten sich. Vorhin waren sie so klarblau gewesen wie der Sommerhimmel über dem Strand bei Maibritts Großeltern. Aber jetzt waren sie so dunkel wie Gewitterwolken, und Maibritt machte vorsichtshalber einen Schritt nach hinten.
»Na ja, vielleicht nicht richtig gebissen«, sagte sie langsam.
»Ganz genau«, sagte Märzbritt ebenso langsam. »Er hat nur ein paar fiesen Jungs einen Schrecken eingejagt, die dich geärgert haben. Die dich umgeschubst haben, obwohl du gar nichts gemacht hast.«
Das stimmte. Fast. Aber nicht ganz. Es stimmte, dass Maibritt den Jungen nichts getan hatte, und Robert hatte sie geschubst. Aber sie war nicht gefallen. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, Rambo hatte Robert in die Pobacke gebissen.
Maibritt log grundsätzlich nie. Die wenigen Male, die sie es versucht hatte, war sie knallrot geworden und hatte sich an die Nase gefasst. Ihre Mutter behauptete nämlich, dass die Nase vom Lügen länger wurde. Den Unsinn hatte sie aus der Geschichte von Pinocchio übernommen. Wenn das nämlich wahr wäre, würde Mamas Nase schon bis Dänemark reichen. Sie log die ganze Zeit, nannte es nur anders. Das mit der Nase war also kompletter Blödsinn, trotzdem legte Maibritt jedes Mal die Hände vors Gesicht, wenn sie versuchte, ein klein wenig zu lügen.
Aber das hier war nicht ein klein wenig gelogen. Das hier war eine dicke, fette Lüge.
Was, wenn die Polizei kam und sie ausfragte?
»Ich bin keine gute Lügnerin«, sagte Maibritt.
»Aber ich«, sagte Märzbritt.
Ihr Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, jetzt waren ihre Augen wieder klarblau.
»Überlass mir das Reden«, sagte sie. »Aber ich glaube nicht, dass die Polizei kommt. Ach übrigens, dein Pausenbrot war wirklich lecker.«
»Maibritt!«, rief eine Stimme. »Maibritt! Du kommst jetzt sofort nach Hause!«
»Uuuups«, sagte Maibritt.
Sie hatte Mama völlig vergessen. Genau genommen ihre ganze Familie. Trotz Rambo und der blöden Jungs hatte sie eine Menge Spaß gehabt.
Jetzt hing Mamas Oberkörper aus dem Küchenfenster, und ihre Stimme klang ungeduldig. Maibritt bereute einmal mehr, dass sie Junis Pipipfütze nicht aufgewischt hatte.
»Ich muss gehen«, sagte sie schnell.
»Ich komme mit«, sagte Märzbritt.
»Das wäre vielleicht nicht so schlau«, sagte Maibritt.
»Und ob«, sagte Märzbritt. »Ich will auf keinen Fall zurück in den schaurigen Wohnwagen. Außerdem …«
Plötzlich beugte sie sich zu Maibritt rüber und nahm sie ganz fest in den Arm. Sie roch nach Laub und Erdbeeren und Hund.
»Außerdem will ich doch wissen, wie meine beste Freundin wohnt«, sagte sie und hüpfte die Auffahrt hoch.
Oh nein, dachte Maibritt und lief zögernd hinter ihr her. Hoffentlich hat Mama sich nicht wieder irgendein idiotisches Spiel ausgedacht, das sie an der Familie ausprobieren will.
»Lieber Gott«, betete sie leise, während Märzbritt Rambo an der Gartenpforte festband. »Lass Mama kein neues Spiel erfunden haben.«
[zurück]
Viertes Kapitel,
in dem Märzbritt Maibritts Familie kennenlernt und sie ein neues und lebensgefährliches Spiel spielen, bei dem Mama sich Aerger einhandelt.
Leider kam Märzbritt vor Maibritt an. Maibritt bog etwas zu spät um die Hausecke. Mama wartete schon in der offenen Tür.
Ihr Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab. Unter ihren Augen waren schwarze Flecken von alter Schminke, die sie wohl am Abend vorher nicht abgewaschen hatte. Sie trug Papas Schlafanzug, den hässlichsten von allen. Er hatte sich in der Waschmaschine rosa verfärbt, und Papa weigerte sich, ihn weiter zu tragen. Die Hosenbeine
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