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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Titel: Zwei Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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da, worunter ich einige kannte, da sie ebenfalls Bewohner des Gasthofes waren, und sich gewöhnlich zu den Versammlungsstunden in dem Speisesaale einzufinden pflegten. Wir sprachen verschiedene Dinge, unter andern auch von den Geschwistern Milanollo und ihrer heutigen Vorstellung, aber nur oberflächlich, wie es bei Reisenden oft gewöhnlich ist, die, wenn sie sich auf mehrere Augenblike zusammen finden, gern einige flüchtige Worte wechseln. Mein Nachbar kam nicht zum Abendessen herunter. Ich blieb länger sizen, als gewöhnlich, theils, weil ich müde war, theils, weil die Eindrüke, welche ich empfangen hatte, nur nach und nach verschwanden.
    Als ich von dem Speisesale über den Hof zu meiner Wendelstiege ging, sah ich gegen die Fenster meines Nachbars hinauf, sie waren schwarz, und er hatte bereits sein Licht ausgelöscht. Ich stieg die Treppe hinan, und da ich, um zu meinem Zimmer zu gelangen, an dem seinen vorüber mußte, hielt ich unwillkürlich an der Thür etwas an; aber es war todtenstille in dem Innern, und der Bewohner mochte wohl schon in tiefem Schlafe liegen.
    Da ich mein Gemach aufgeschlossen und wieder zugeschlossen hatte, da ich mein Licht auf dem Nachttischchen entzündet hatte, da ich ausgekleidet war und in dem Bette lag: hatte ich erst die rechte Zeit, und nahm mir die rechte Muße, über das Benehmen meines Nachbars nachzudenken. Es mußte mir in der That bedeutend auffallen, und ich konnte nicht anders, als mir Vermuthungen darüber zu machen. Ich hätte in der frühern Zeit eher gedacht, daß der mittelgroße hagere blaße Mann durch Töne nicht gar leicht zu bewegen sein müsse; denn in dem Wesen desselben lag etwas Stilles, mitunter auch Trokenes, aber immer Etwas, das sich nicht aufdringt, sondern eher in sich zurük tritt, und verschließt. Daß wir ihn Paganini nannten, war mehr Schalkheit durch die flüchtigste äußere Aehnlichkeit angeregt, als daß wir ihm diese Kunst zutrauten. Es boten sich mir drei Arten dar, sein heutiges Benehmen zu erklären. Entweder war er wirklich für Musik so empfänglich, daß das außerordentliche Spiel der Geschwister Milanollo auf ihn so wirkte, daß er nicht mehr Herr seiner Bewegung war, und in die Thränen ausbrach, die wir an ihm sahen. Dann aber ist es nicht erklärlich, daß ich das nie früher bemerkt hatte; denn ungewöhnliche Empfänglichkeiten für ein Ding offenbaren sich meistens sehr bald, sei es durch die Rede, welche der Empfängliche gerne auf das Ding hinlenkt, sei es ein wenn auch minder bedeutender Anlaß, der das Ding herbei führt, und die Empfänglichkeit darlegt. Oder es mochte bei meinem Nachbar auch der zweite Fall sein, daß er nehmlich zu jener Art Menschen gehört, die, ohne es zu wissen, eigentlich tiefes Gefühl haben, das nur außerordentlich schwer aufgeschlossen wird, aber, wenn es aufgeschlossen ist, desto stärker und nachhaltiger dahin strömt. An solchen Menschen gehen oft Töne, Farben und andere Gelegenheiten Jahre lang ohne Wirkung vorüber, wie Wasser über einen Felsen; aber von Ungefähr werden sie durch einen Anlaß von ihrem unbekannten Innern ergriffen, daß sie seiner Gewalt, die sie überkömmt, gar nicht zu steuern wissen, ihr wie Kinder ohne Hülfe hingegeben sind, und ihre Rathlosigkeit vor aller Welt offenbaren müssen. Solche Menschen werden von ihren Gefühlen viel stärker erschüttert, als andere, die sie öfter haben, die ihr Herannahen merken, und tausend kleine Waffen dagegen in Bereitschaft halten. Aber auch gegen diesen zweiten Fall streitet der sonderbare Ausruf, den mein Nachbar im Wagen machte: Unglüklicher Vater, unglüklicher Vater. Dieser Ausruf stimmt mit bloßer wenn auch starker Erregung durch schöne Darlegung einer außerordentlichen Kunst nicht überein. Es bleibt daher der dritte Fall über, daß nehmlich in dem Leben dieses Mannes, der jezt in dem Zimmer neben mir einsam schläft, irgend unbekannte Verhältnisse sein mögen, die in Beziehung und Verbindung mit dieser Musik die Erregung so stark machten, daß er sie von Menschen weg in die Verborgenheit trug, und sich nicht mehr die wenigen Bissen Essen gönnen konnte, die er gewöhnlich zu seinem Abendmahle einnahm.
    Ich beschloß daher, mir von der Sache gegen ihn gar nichts merken zu lassen, und ihrer, wenn er nicht selber etwas sagte, nicht zu erwähnen.
    Ehe ich einschlief, dachte ich auch noch auf die mir so lieb gewordene Theresa. Es ist also nicht, wie ich Anfangs gefürchtet hatte, bloße außerordentliche Fertigkeit

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