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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Titel: Zwei Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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fremder Trachten, die ich sah, und durch das fröhliche und seltsame Gewimmel, das die unzähligen Menschen dieser Erde treiben müssen, um dem Tage das Leben abzugewinnen, und dieses Leben dann doch wieder in der Schnelle zu vergeuden.
    Es ist ein großer sonderbarer Anblik, dieses merkwürdige Geschlecht im Ganzen zu überschauen - wie es sich immer und immer geändert hat, und immer zu größerer Vollkommenheit zu gehen vermeinte. Wie mag es in den Millionen künftiger Jahre sein, wohin unser befangener Blik nicht zu dringen vermag - wer kann es wissen? Wenn man mit seinem Fühlen und Denken außer der Gegenwart steht, und von ihr nicht fortgerissen wird, so hastet alles in Unruhe, in Begehren und in Leidenschaft vorüber - manches schöne edle Herz lächelt uns an, daß man es liebt, und an sich drücken möchte; aber es geht auch vorüber: - - wenn man dann die Natur betrachtet, wie die Geselligkeit der Pflanzen über alle Berge dahin liegt, wie die Wolken ziehen, wie das Wasser rieselt, und das Licht schimmert - welch ein Treiben jenes, welch ein Bleiben dieses! Durch die Natur wird das Herz des Menschen gemildert und gesänftigt, durch das Wogen der Völker, sobald man einen tieferen Geist hinein zu legen vermag, wird es begeistert und erhoben. Da ich immer ein Einzelner
    war, der nicht hatte, was er lieben oder hassen konnte, lernte ich die Menschen in der Weltgeschichte kennen. Da waren sie anders, als sie sich immer in der nächstberührenden Welle geltend machen möchten. Was die Gegenwart oft als ihr Höchstes und Heiligstes hielt, das war das Vorübergehende: was sie nicht beachtete, die innere Rechtschaffenheit, die Gerechtigkeit gegen Freund und Feind, das war das Bleibende. Was ein Redner, von dem blossen Theile eines Ganzen ergriffen, seinen Zeitgenossen heftig predigte, ist in den folgenden Geschlechtsräumen anders, weit anders gekommen.
    Mit diesen Gedanken fuhr ich die Straße des schönen Tirols hinan, und ließ diese Berge und Lasten auf mich einwirken, zwischen denen die Menschen herum gehen, und wie überall, während sie wähnen, nur für die nächsten Bedürfnisse zu sorgen, den Bau der Zukunft aufbauen. Und je nach der Güte oder Zerworfenheit der Gegenwart wird dieser Bau auch dauernder oder hinfälliger.
    Ich fuhr durch das lange Innthal, und lenkte dann in das Pusterthal ein. Ich hatte den einen meiner Freunde besucht, und war eine Woche bei ihm geblieben. Die Zeit wurde verbracht, indem wir theils schöne landschaftliche Stellen besuchten, theils mit seinen Freunden zusammen kamen, theils die Land- und Alpenwirthschaft dieses Volkes besahen. Dann reisete ich wieder weiter und kam zu dem andern, der den berühmten Hof hatte. Ich blieb drei Wochen bei ihm. Ich schaute alles an, was da war, ich betrachtete die Arbeiten, ich ließ mir erzählen, und fertigte ein Buch an, in welches ich alles eintrug, was ich mir merken wollte. Mit der schönsten Erinnerung und mit dem Bilde eines edlen Mannes - denn in früheren Zeiten hatten wir uns doch nur sehr oberflächlich gekannt - verließ ich das Haus, und wandte mich nach dem südlichen Tirol.
    Es gingen noch duftblaue Berge, glänzender Firn, dunkelnder Wald und grünes Gelände an mir vorüber. Ueber manchen rauschenden Bach mußte ich fahren, und an mancher freundlichen Häuserreihe mußte ich vorbei, bis ich eines Abends in Meran einzog.
    Es waren sehr viele Fremde in dem Orte, die sich gewöhnlich im Sommer einfinden, um die ungemeinen Reize der Gegend zu genießen. Im Herbste, sagte man mir, kommen meistens noch mehrere, weil sie da eine Traubenkur zu gebrauchen pflegen.
    Ich fragte, da ich nun da war, bei meinem Gastwirthe um Franz Rikar, so hieß nehmlich mein ehemaliger Zimmernachbar.
    »Dieser Mann,« antwortete der Wirth, »ist schon sehr lange nicht mehr in Meran, er hat sich sehr einschränken müssen, es geht ihm sehr schlecht, und er hat sich an die Ufer des Gardasees zurük gezogen, wo er geboren ist.«
    Als ich um den Ort fragte, sagte er, den wisse er nicht genau, wenn es aber nicht Riva sei, so müsse es ganz gewiß in der Nähe sein.
    Als ich des Abends ein wenig in dem Städtchen herum ging, um es mir anzuschauen, fragte ich auch noch andere Leute, und erhielt fast überall die nehmliche Antwort, nirgends aber eine genauere.
    Da ich diese Sache erfahren hatte, kam mir der Gedanke, den alten Mann nach Treulust zu schaffen. Er könnte, dachte ich, dort recht gut leben; ich bin ganz allein, er könnte unbeirrt sein, er könnte

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