Zwei Seiten
suchen?«
Ich musste einen Moment darüber nachdenken. Seit einem Jahr ging ich schon nicht mehr zur Therapie, aber dennoch fragte ich mich, was Frau Ringelfuß wohl dazu gesagt hätte. Mit ihr war es immer bloß um meine Unfähigkeit gegangen, mich auf andere, insbesondere Männer, einzulassen. Aber würde ich auch eine Therapie machen, wenn ich … stopp, was für ein lächerlicher Gedanke. Ich könnte niemals so kranke Neigungen entwickeln. »Ich kann mir nicht vorstellen, jemals so … krank zu werden. Aber wenn etwas Derartiges passieren würde … ja, dann wäre mein erster Schritt sicher eine Therapie. Und es könnte auch nicht schaden, sich von den Vorzügen eines Mannes überzeugen zu lassen.«
Julia grinste. »Die da wären?«
»Also, wenn du das nicht weißt, bist du wohl …«
»Was? Lesbisch?« Bevor ich etwas sagen konnte, sagte sie ruhig: »Im Ernst: Was sind die Vorzüge?« Julia schmunzelte und wackelte mit den Augenbrauen. »Vielleicht überzeugst du mich ja.«
Ihr Tonfall gefiel mir gar nicht. Flirtete sie mit mir? Ich ging ins Bad und schob die Tür zu, bis sie lediglich einen Spalt offen war. »Auf dieser Party sind genug junge Männer, um genau das herauszufinden. Viel Glück.« Ich schloss die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss um.
Kurze Zeit später kam ich wieder heraus. Julia war zu meiner großen Erleichterung verschwunden. Obwohl ich die Unterhaltung auch irgendwie genossen hatte. Es war wirklich eine Schande, dass sie nicht normal war.
* * *
Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, sang Nathalie gerade in Daniels Armen »Country Roads« und zahlreiche andere Gäste stimmten mit ein.
Ich kicherte und schlenderte auf sie zu.
Nathalie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, bevor sie sich wegdrehte und weitersang.
Daniel lachte und sang laut mit. Offenbar hatten weder Julia noch Nathalie etwas zu ihm gesagt.
Ich entschied mich dafür, einen Wodka Red Bull zu trinken, und stellte mich, kaum dass ich das Getränk hatte, zu einer Gruppe mir vollkommen Unbekannter. Es handelte sich wohl um Medizinstudenten, denn sie sprachen über die Fachgebietswahl nach dem Studium. Ich konnte nicht wirklich mitreden als Jurastudentin, aber ein junger, dunkelhaariger Mann mit blauen Augen lächelte mich definitiv interessiert an. Irgendetwas gefiel mir an ihm. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
»Hi, ich bin Scarlett.«
Ein strahlendes Lächeln war seine erste Reaktion. Anschließend zog er mich etwas zur Seite. »Ich bin Oliver. Schön, dich kennenzulernen.«
Diese Augen waren faszinierend.
Wir gaben einander die Hände, aber eigentlich streichelte er meine Hand mehr, als sie zu halten. Er schaute mir tief in die Augen.
Ich war überrascht, aber, für mich sehr erstaunlich, auch nicht abgeneigt, als er sich zu mir herunterbeugte, um mich zu küssen.
Bevor sich unsere Lippen berührten, tauchte jemand neben uns auf. Wir drehten unsere schon sehr nahen Gesichter zu der störenden Person.
»Sieht so aus, als ob du meinen Zwillingsbruder kennengelernt hast«, sagte Julia.
Oliver richtete sich wieder auf. »Ihr kennt euch?«
»Wir sind sozusagen alte Bekannte«, sagte Julia und nahm einen Schluck aus ihrem Plastikbecher.
Oliver guckte zwischen uns hin und her.
Was vermutlich für Außenstehende ziemlich lustig aussah, denn ich sah wiederum zwischen den beiden hin und her. Ihre Ähnlichkeit war wirklich erstaunlich. Hätten sie nicht ein unterschiedliches Geschlecht gehabt, hätte man sie leicht für eineiige Zwillinge halten können. Aber trotzdem war ich baff. »Zwillinge?«
Sie grinsten und schlangen jeweils einen Arm umeinander.
Julia schien überhaupt nicht mehr ärgerlich auf mich zu sein. Sie lächelte als wäre nie was passiert.
Es erstaunte mich, aber ich beschloss, mich nicht zu beschweren. Warum sollte ich auch? Ich war ja schließlich im Recht. Da sie das Thema nicht mehr ansprach, beschloss ich, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
»Studiert ihr dasselbe?«, fragte ich, um irgendetwas zu sagen.
»Ja, aber Julia ist ein Jahr über mir. Sie hat ‘ne Klasse übersprungen. Ist ziemlich praktisch, so konnte sie mir erst in der Schule und jetzt im Studium immer helfen.«
Ich schaute erstaunt zu Julia. Wirklich schade um sie. »Also, ihr studiert Medizin.«
Beide nickten und ließen einander erst jetzt los.
Daniel kam hinter Julia und Oliver zum Vorschein und umarmte seine Geschwister ungeschickt. »Heyyy, da
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