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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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muss mich geschlagen geben und weiß trotzdem nicht, was ich mit den vielen Farbeimern anstellen soll, die Doro um mich herum aufstellt.
    Doro geht wieder zu ihrem Selbstporträt und vergisst mich. Ich stehe vor dem leeren Papier und starre es an. Ich sehe zu Doro hinüber, die einen Pinsel in einen Eimer mit grüner Farbe taucht. Aber statt mit dem Pinsel etwas auf das Papier zu zeichnen, schüttelt sie ihn einfach aus und beobachtet, wie die Farbe auf den Untergrund spritzt. Dann nimmt sie eine Flasche mit roter Farbe, quetscht sie aus wie ich eine Flasche Ketchup ausquetschen würde, wenn sie mir den Ketchup verweigert, und die Farbe schießt in wilden Linien über den Boden und über Doros nackte Beine.
    Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, aber irgendwie faszinieren mich Doros Füße, die aussehen wie aus einem Horrorfilm und die beginnen, sich langsam und konzentriert über das Papier zu bewegen.
    »Musik?«, fragt Tante Doro, als sie mich unbeholfen neben dem leeren Bogen Papier stehen sieht.
    »Ich glaub, du magst meine Musik nicht so.«
    »Dann lassen wir’s auf ’nen Versuch ankommen. Also, was wünschst du dir?«
    »Die Foo Fighters! «, antworte ich, ohne nachzudenken.
    Ich tunke meine Finger in die rote Farbe und streiche über das raue Papier.
    Ich male ein rotes Herz.
    Ich wische mir die Hände an der Schürze ab und freue mich über die blöden Teddybären, die auf der verschmierten Schürze plötzlich noch blöder aussehen. Wie nach einem Teddybären-Massaker.
    Es kostet mich ein bisschen Überwindung, aber schließlich ziehe ich meine Schuhe aus und meine Socken und laufe barfuß wie in Zeitlupe über das von der Farbe feuchte, kühle Papier. Ich hinterlasse rote Fußabdrücke auf dem hellen Untergrund. Ich zähle zum Spaß meine Zehen. Es sind jedes Mal fünf. Ich ziehe Kreise um mein Herz, bis ich die Zehen nicht mehr zählen kann und meine Kreise ein verrücktes Zehenmuster ergeben.
    Ich greife nach einem Eimer mit Farbe, der am Rand meiner Unterlage steht. Ich werfe einen letzten Blick auf mein Zehenmuster mit Herz. Ich denke nicht an Hunde. Ich denke an Oliver.
    Ich denke an rosa Wände.
    Ich denke an weiße Gummibärchen.
    Ich denke an blaue Herzen auf Bierdeckeln.
    Ich frage mich einen Augenblick lang, ob ich es wirklich darf.
    Ich zögere einen Augenblick und frage mich dann nicht mehr, ob ich es darf. Und kippe den Eimer mit schwarzer Farbe aus.
    Meine Gedanken.
    There goes my hero.
    Watch him as he goes.
    Schlechtes Wetter hat auch seine guten Seiten. Man hat zum Beispiel den Strand fast für sich allein. Kein Strandmatten-Slalom bis zum Wasser, keine sonnenverbrannten Fitness-Fuzzis, die ihre Luxuskörper zur Schau stellen oder das, was sie dafür halten. Keine kreischenden Kinder, keine zurückkreischenden Mütter und das Beste: keine Pärchen.
    Ich sitze auf einem ausrangierten Rettungsschwimmerturm, trinke Tee aus einer Thermoskanne, esse Schokoladenkekse, höre Musik und fühle mich unbesiegbar. Na ja, fast. Immerhin hat dieser Turm mit dem rostigen Geländer und den vergammelten Holzbohlen, auf denen ich nun sitze, eine Geschichte. Silvester saß ich hier oben mit Isabella. Wir hatten uns in unsere Schlafsäcke gewickelt und überall Teelichter verteilt. Während wir versuchten, uns auf einem Campingkocher Glühwein heiß zu machen, versuchte unter uns eine Gruppe von Leuten vergeblich, im feuchten Sand Raketen zu zünden. Trotz Schlafsack, Pudelmütze und Handschuhen war es eisig kalt, aber der Glühwein wärmte uns von innen und die gute Laune sowieso und irgendwann dachten wir nicht mehr an die Kälte. Kurz vor zwölf kam auch Tante Doro, mit der wir uns hier oben verabredet hatten. Auf der »Titanic«, wie wir den Turm getauft hatten. Wenn man sich ans Geländer stellt, auf das Rauschen der Wellen hört und in den sternklaren Nachthimmel blickt, kann man nämlich wirklich denken, man sei Passagier auf diesem Schiff und vergessener Zeuge seines tragischen Untergangs. Isa und ich alberten herum und stellten die Jack-und-Rose-Pose nach. Die beiden stehen an der Reling, Jack umfasst Rose’ Taille und sie breitet die Arme aus, als würde sie jeden Moment davonfliegen. Ich war Jack. Jack ist ertrunken. So ein Zufall aber auch. Doro hatte eine Flasche Sekt und Wunderkerzen dabei und um Mitternacht haben wir alle zusammen angestoßen, Doro, Isa und ich. Happy New Year! Na ja.
    Ich frage mich allmählich, was dieser Typ da unten macht. Der saß schon da, als ich kam, und hat

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