Zwei Sommer
ist, ist Doro ein bisschen weniger einsam. Auch wenn sie das natürlich nie zugeben würde.
»Hier riecht’s so komisch«, sage ich extraleise, weil Doro immer noch ganz angestrengt auf den Boden sieht und ich sie nicht bei der Arbeit stören will.
»Ach so. Vielleicht sind das die Räucherstäbchen. Tibetischer Himalaya-Lotus.«
»Aha.«
»Zur spirituellen Entfaltung, weißt du.«
»Riecht trotzdem wie tote Maus.«
»Unsinn.«
»Tibetische tote Maus?«
Tante Doro sieht zum ersten Mal auf und schüttelt unwirsch mit dem Kopf. »Sag mal, wo warst du denn heute Morgen? Als ich dich wecken wollte, warst du fort.«
»Ich war am Meer.«
»Ach so. Und, was hat es erzählt?«
Es ist lustig. Tante Doro redet von Dingen manchmal wie von Leuten. Ich bin verwirrt und muss kurz nachdenken. Mir fällt natürlich zuerst der gelbe Wursthund ein. Und dann die Imbissbude, die nicht mehr da ist. Und dann fällt mir die verrückte Schriftstellerin wieder ein und ich frage mich, was das Wasser ihr wohl erzählt haben mag, bevor sie beschloss, in ihm zu ertrinken. Und dann spüre ich plötzlich meine klammen, schweren Hosenbeine, die eben noch in den Wellen gebadet haben.
»Ich glaube, es hat mir gesagt, dass das Leben weitergeht.« Ich merke, wie komisch dieser Satz aus meinem Mund und mit meiner Stimme klingt. Und so ohne Sonnenaufgang und roten Horizont im Nacken und Meerwasser zwischen den Zehen klingt er plötzlich genauso hohl wie in einem blöden Spielfilm.
Doro geht ein paar Schritte auf dem Papier und ich habe das Gefühl, sie hat bereits wieder vergessen, dass ich mich im selben Raum befinde. »Und, glaubst du ihm?«, fragt sie plötzlich.
»Weiß nicht.« Ich weiß es wirklich nicht. Oder nicht mehr. Ich meine – kla r –, man hört nicht einfach auf zu atmen, und man hört nicht auf, jeden Morgen aufzustehen, aufs Klo zu gehen, sich die Zähne zu putzen. Und man hört nicht auf, sich die Haare zu waschen und eine Pflegespülung mit Aufbau-Vitaminen zu benutzen. Man hört nicht auf, sich ein Busticket zu kaufen. Man hört nicht mal auf, sich eine Portion Pommes mit zweimal Majo zu bestellen. Aber ist das schon Leben? Vielleicht hört man ja trotzdem auf zu leben.
Doro sieht aus, als verfolge sie meine Gedanken mit Blicken.
»Tante Doro, du hast da Farbe in den Haaren.«
»Du nicht.«
Das war der Startschuss. Das war der Beginn meiner kurzen, aber wilden Laufbahn als bildende Künstlerin. Doro verlässt ihren Kleckseteppich und rauscht aus dem Atelier. Nach einer Weile kommt sie wieder und drückt mir ein Riesen-T-Shirt und eine Schürze in die Hand. Ich schaue sie fragend an und nehme die Sachen entgegen.
Ich weiß nicht, was Doro vorhat, aber ich kenne diesen Blick und der duldet keine Fragen und erst recht keinen Widerspruch. Also ziehe ich mir das T-Shirt über, das mir ungefähr bis zu den Knien reicht, und ich binde mir sogar die Schürze um, die auf der Vorderseite mit grinsenden, offensichtlich total gut gelaunten Teddybären bestickt ist. Echt kein Wunder, dass Doro sich bis heute weigert, backen zu lernen.
Währenddessen breitet Doro einen riesigen Bogen Papier neben ihrem auf dem Boden aus.
»Bring’s auf dieses Papier«, ist alles, was sie zu mir sagt.
»Ich kann aber nicht malen«, protestiere ich.
»Und wer sagt das?«
»Herr Kahlgrün.«
»Und wer ist das?«
»Mein Kunstlehrer.«
Doro scheint meine Antwort unglaublich zu amüsieren. »Merk dir eins, Marieke: Kunst und Lehrer, das ist ein Widerspruch in sich.«
»Ich glaube aber, Herr Kahlgrün hat Rech t …«
»Und wieso?«
»Weil meine Hunde aussehen wie mutierte Kühe.«
»Und was ist so schlimm daran?«
Dazu fällt mir nun wirklich nichts ein. Tante Doro stellt komische Fragen.
»Wer sagt eigentlich, dass Hunde nicht aussehen dürfen wie mutierte Kühe?«, fragt sie weiter ihre komischen Fragen.
»Herr Kahlgrün?«
»Und wer ist Herr Kahlgrün?«
»Na, mein Kunstlehrer, hab ich doch gesagt.«
»Das meine ich aber nicht.«
»Ich weiß nicht, was du meinst. Ich weiß nur, dass die Sachen, die ich male, nie so aussehen wie in Wirklichkeit.«
»Ach so. Wie sehen Hunde denn in Wirklichkeit aus?«
»Na, wi e … wie Hunde eben.« Ich weiß selbst, dass das keinen Sinn ergibt. Aber dafür habe ich ja auch nicht Kunst studiert.
»Marie, mal einfach deinen Morgen.«
»Aber da kommt ein Hund drin vor.«
Doro seufzt. »Dann mal deine Gedanken. Oder willst du mir etwa erzählen, Herr Kahlgrün weiß, wie die aussehen?«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher