Zweyer, Jan - Rainer
klingelte. Rainer griff zum Hörer.
»Spreche ich mit Rechtsanwalt Esch?«, fragte eine männliche, noch sehr jung klingende Stimme.
»Ja, ich bin selbst am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«
»Sind Sie an Informationen im Todesfall Georg Pawlitsch interessiert?«
Für einen Moment war Rainer perplex. »Wer sind Sie?«, fragte er dann.
»Das spielt keine Rolle. Sind Sie interessiert?«
»Ja, sicher, aber…«
»Haben Sie ein Handy?«
»Natürlich.«
»Sagen Sie mir bitte die Nummer.«
»Ich verstehe nicht…«
»Die Nummer, bitte.«
Rainer gab seine D2-Nummer preis.
»Danke. Dann schalten Sie es ein. Ich melde mich wieder.«
»Warten Sie, was soll…«
Zu spät. Der Anrufer hatte aufgelegt.
Esch nahm sein Mobiltelefon von der Ladestation und schaltete es ein. Unmittelbar darauf klingelte es wieder.
»Wenn Sie immer noch an den Informationen interessiert sind«, sagte die Stimme, »gehen Sie jetzt zur Haltestelle Barrestraße der Buslinie 311. Dort fährt um acht vor fünf der Bus Richtung Innenstadt. Steigen Sie ein und fahren Sie bis zur Haltestelle Kreuzkirche. Nehmen Sie Ihr Handy mit. Ich melde mich wieder.«
»Hören Sie, woher weiß ich, dass Sie mich nicht auf den Arm nehmen?«
Der Anrufer schwieg einen kurzen Moment. »Pawlitsch hat in der Geschichte der Zeche Erin tief gegraben und ist fündig geworden. Reicht Ihnen das?« Die Verbindung wurde unterbrochen.
Das reichte Rainer. Er schnappte sich Lederjacke und Schal und verließ sein Büro.
Draußen war es kalt. Ihn fröstelte. Er sah auf die Uhr. Noch sechs Minuten. Er spurtete zur Haltestelle, musste noch einen Moment in der Dunkelheit warten und bestieg den Bus, der Richtung Herner City fuhr. Er entwertete den Fahrschein und sah sich im Wagen um. Im Bus waren außer ihm nur noch zwei ältere Frauen mit Einkaufstaschen und ein junges Teenie-Paar, das auf der letzten Sitzbank miteinander turtelte. Rainer nahm in der ersten Reihe hinter dem Fahrer Platz.
An der Kreuzkirche stieg der Anwalt aus. Es schneite heftiger. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch und blickte sich um. Am Beginn des fußläufigen Teils der Bahnhofstraße herrschte der übliche vorweihnachtliche Einkaufstrubel.
Zahlreiche Menschen strömten in Richtung der Kaufhäuser und Boutiquen, um ihr Weihnachtsgeld auszugeben. Andere, die diese Prozedur schon hinter sich hatten, eilten mit mehr oder weniger gestresstem Gesichtsausdruck in Richtung U-Bahn oder Parkplätze. Rainers Handy meldete sich erneut.
»Jetzt gehen Sie in das Kleine Café. Dort trinken Sie etwas.
Wissen Sie, wo das ist?«
»Weiß ich«, antwortete Esch leicht verärgert. Er kam sich vor wie in einem drittklassigen Spionagefilm. »Und was passiert…«
Schon wieder wurde das Gespräch vorzeitig beendet. Rainer schnaubte, machte sich dann aber doch auf den Weg in das Café an der Mont-Cenis-Straße.
Die wohlige Wärme, die dem Anwalt entgegenschlug, tat ihm gut. Er setzte sich an den letzten freien Tisch am Fenster, bestellte einen Espresso und einen Veterano und musterte die anderen Gäste. An dem Tisch neben ihm saßen zwei junge Frauen, die sich angeregt über ihren letzten Disco-Besuch unterhielten.
Direkt neben der kleinen Theke spielten vier Männer Karten.
Ihr Outfit und ihre blonden und schwarzen Lockenköpfchen, erinnerten Rainer an die Hauptdarsteller einer Vorabendserie im Privatfernsehen, deren Name ihm entfallen war. Einer der vier sah auffällig lange zu Rainer herüber. An einem Tisch vor der Theke trank ein älteres Paar Kaffee. Zwei leere Kuchenteller ließen darauf schließen, dass sie sich schon länger im Lokal aufhielten. Sie beglichen ihre Rechnung und gingen kurz darauf. Am anderen Fenstertisch, von Esch durch den verglasten Eingangsbereich getrennt, studierte ein jüngerer Mann den Spiegel.
Der Anwalt fragte sich, ob einer dieser Gäste der unbekannte Anrufer war. Als die Bedienung seine Getränke brachte, zahlte Rainer sofort und wartete weiter.
Endlich klingelte sein Handy wieder. Er sah sich um. Im Kleinen Café telefonierte niemand.
»Fahren Sie mit der U-Bahn von der Kreuzkirche bis Strünkede. Dort steigen Sie aus und gehen Richtung Wasserschloss.«
Esch schüttete den Brandy in sich hinein. Er war fast entschlossen, sich nicht mehr länger an dieser Schnitzeljagd zu beteiligen. Dafür war es einfach zu kalt und zu nass.
Trotzdem verließ er das Café, ging langsam Richtung U-Bahn, blieb an der Treppe zögernd stehen und registrierte den beleuchteten
Weitere Kostenlose Bücher