Zweyer, Jan - Rainer
vermute, dass Sie mich über den Tag befragen wollen, an dem der Wagen Doktor Lorsows gestohlen und der arme Mann umgekommen ist, richtig?«
»Stimmt.«
Derwill kaute nervös an dem kleinen Finger seiner rechten Hand. »Das dachte ich mir. Es wäre… Nun, es wäre möglich… Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll…«
»Das merke ich. Wären Sie so freundlich, uns jetzt endlich aufzuklären?«
»Es wäre möglich, dass meine Aussage von der Doktor Lorsows abweicht. Und ich könnte ihm nicht… Ich könnte ihm nicht mehr ins Gesicht sehen, wenn dies so wäre. Wissen Sie, er ist nicht nur mein Chef, sondern mehr wie ein Sohn für…«
»Gut, gut. Herr Derwill, Sie erinnern sich an den Tag, an dem der Wagen Ihres Chefs abhanden kam?« Brischinsky schaute aufmerksam in den Rückspiegel. Irgendeiner der Anwesenden hatte Alkohol getrunken. Nicht viel, aber der Geruch war unverkennbar. Baumann war es sicher nicht gewesen, er selbst konnte sich an keinen Schluck erinnern. Blieb nur Derwill.
»Ja, sicher.«
»Können Sie uns bitte erzählen, was passierte, nachdem Herr Lorsow wieder ins Büro kam?«
»Ja, das war so: Gegen zwei rief mich Doktor Lorsow zu sich. Er war gerade mit dem Taxi aus Bochum zurückgekommen, von der Polizeistation, auf der er den Diebstahl seines Wagens gemeldet hatte.«
»Und? Weiter!«
»Er hat mich dann gebeten, ihn zu fahren.«
»Wann? Um zwei?«
»Ja.«
»Sie irren sich nicht?«
»Nein.«
»Und wohin wollte Herr Lorsow? Nach Hause?«
Derwill schwieg und kaute nun auch auf dem Ringfinger.
»Beantworten Sie meine Frage.«
»Nein, nicht nach Hause.«
»Wohin dann? Mensch, lassen Sie sich doch nicht alles einzeln aus der Nase ziehen.«
»In einen Herner Vorort.«
»Nach Herne? Was wollte er denn da? Geschäfte?«
Derwill schüttelte den Kopf.
»Verdammt, Derwill, wenn Sie nicht bald reden, unterhalten wir uns auf dem Präsidium weiter«, brauste Brischinsky auf.
»Ich weiß nicht genau, wie die Straße heißt. Das Haus liegt in der Nähe eines Industriegebietes. Ein weißes Gebäude. Dahin ist er öfter… Ich habe dann entweder in einem Café in der Innenstadt gewartet, bis er mich anrief, oder bin nach Hause gefahren.«
Brischinsky dämmerte etwas. »Jetzt werden Sie schon konkret, Herr Derwill.«
Der Prokurist hatte nun fast seine ganze Hand im Mund, atmete erneut tief durch und sagte dann: »Ein Klub. Ein Sexklub. Herr Lorsow sucht diesen Klub häufiger auf. Und damit niemand, vor allem nicht seine Frau, Verdacht schöpfen kann, hat er mich mitgenommen. Sozusagen als Alibi. Ein unverdächtiger Geschäftstermin. Ein Taxi kam für ihn nicht in Frage. Er hatte Angst, irgendwann wieder erkannt zu werden.
Außerdem bin ich sein engster Vertrauter, ich kenne ihn schon seit seiner Kindheit, als ich noch für seinen Vater gearbeitet habe. Verstehen Sie jetzt, warum ich nicht mit Ihnen im Büro…«
»Verstehe.« Brischinsky war für einen Moment verblüfft.
»Dann haben Sie ihn nicht um halb fünf nach Hause gefahren?«
»Nein.«
»Haben Sie denn auf ihn gewartet?«
»Auch nicht. Das war ja gerade so seltsam. Er habe danach noch etwas vor, hat er gesagt. Er würde ein Taxi nehmen. Ein Taxi! Nach all den Jahren ein Taxi!«
Brischinsky schwieg und Baumann machte sich eifrig Notizen.
Schließlich sagte der Hauptkommissar: »Ich kann Ihnen leider einen Besuch bei uns im Präsidium nicht ersparen. Wir brauchen Ihre Aussage schriftlich. Und möglicherweise müssen Sie mit uns zu diesem Klub fahren. Vielen Dank, Sie haben uns wirklich geholfen.«
»Und Herr Doktor Lorsow, also… er erfährt doch nichts?«
»Von Ihrer Aussage? Kein Wort.«
»Kann ich mich darauf verlassen?« Derwill schien nicht überzeugt.
»Na ja, sagen wir: Wenn Herr Lorsow lediglich seine Ehefrau betrogen hat, geht uns das nichts an. Ansonsten…« Der Hauptkommissar schenkte sich den Rest. »Und noch einen guten Rat: Lassen Sie den Alkohol weg, wenn Sie Ihren Führerschein behalten wollen.«
Derwill zuckte zusammen und machte ein verängstigtes Gesicht.
»Keine Angst. Wir sind nicht die Verkehrspolizei. Aber denken Sie künftig daran.«
Der alte Prokurist nickte verlegen, öffnete die Tür, stieg aus und schlurfte in Richtung seines Fahrzeugs davon.
»Und was hältst du jetzt davon?«, fragte Brischinsky zum zweiten Mal in einer Stunde.
»Da wird uns der Doktor aber einiges zu erklären haben«, antwortete Baumann diesmal.
»Genau. Wer zweimal lügt…«
22
Das Telefon
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