Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
vergiss den Zug. Das hübsche Mädel von der Flamingo-Bar will zur Schicht. Hol sie zu Hause ab. Aber schön sauber bleiben, klar?«
Rainer grinste. Auf Renate war Verlass. Die Thekenchefin des Nachtclubs auf dem platten Land zwischen Dorsten und Wulfen war für ihre großzügigen Trinkgelder bekannt. Gelebte Solidarität der Nachtarbeiter. Die deutsche Gewerkschaftsbewegung war nichts dagegen.
»Keine Angst. Außerdem stellt sie nur den Schampus hin.
Die restlichen Arbeiten erledigen ihre Kolleginnen. Krawiecke vier fährt nach Suderwich. Ende.«
»Schon sehr eigenartig, was du so alles arbeiten nennst.
Zentrale Ende.«
2
Einige Minuten, nachdem Rainer Esch mit seinem Taxi den Bahnhofsvorplatz verlassen hatte, beendete der Mann in der Telefonzelle sein Gespräch, verstaute sein Handy und ging in Richtung Innenstadt. Er kreuzte den Grafenwall, bog rechts in die Kunibertistraße ein, um dann links der Kampstraße bis zum Löhrhofcenter zu folgen. Er setzte sich an einen Tisch vor der Eisdiele und bestellte nach einem Blick in die Karte einen Eiskaffee.
Nach etwa einer Stunde bezahlte er, überquerte den Löhrhof und erreichte über die Herren-und Schaumburgstraße den Markt. Dort orientierte der Mann sich wieder, ging zum östlichen Ende des Platzes, um zwischen der Boutique New Yorker und dem Tabakwarengeschäft Mühlensiepen den Kirchplatz hinter der Petruskirche zu betreten.
An der Plastik, die die ehemalige Trennung Deutschlands symbolisierte, wartete er. Auf der Wiese vor der Kirche spielte eine junge Frau mit ihrem Hund, auf den Bänken etwas weiter entfernt saßen mehrere ältere Leute und genossen die abkühlende Luft der frühen Abendstunden.
Nach einiger Zeit näherten sich aus Richtung Münsterstraße zwei gut gekleidete Männer. Der eine von ihnen war dunkelblond, etwa einsfünfundachtzig groß und schlank. Er trug einen grauen Zweireiher im Stil der zwanziger Jahre: breites Revers, großer Schlag, breiter Umschlag am Hosenbein. Dazu ein hellblaues Hemd mit einer roten Krawatte. An der linken Hand stellte er einen schweren, protzigen Siegelring zur Schau, der nicht recht zur sonst so distinguierten Erscheinung passen wollte. Sein Begleiter hatte schwarze Haare, war etwas kleiner als der andere Mann und konnte einen leichten Bauchansatz nicht verbergen. Er war mit einem traditionellen blauen Anzug, braunen Schuhen und einem weißen Hemd bekleidet. Unterhalb des rechten Auges hatte er einen etwa markstückgroßen Leberfleck. Der mit dem Leberfleck sprach den Wartenden an.
»Guten Abend. Haben Sie die Unterlagen dabei?«, fragte er.
Der Angesprochene, der die beiden nicht hatte kommen sehen, zuckte erstaunt zusammen und drehte sich um. »Was wollen Sie denn hier?«
Der Mann im blauen Anzug griff in die Seitentasche seines Sakkos, ohne auf die Gegenfrage einzugehen, und zog eine Pistole. Ein Knall, nicht lauter als das Entkorken einer Weinflasche, war zu hören.
Der Mann, den Esch zum Bahnhof gebracht hatte, blickte ungläubig auf die Waffe. Es ploppte ein zweites Mal. Der Getroffene ließ die Aktentasche fallen und stöhnte auf. Sein Trenchcoat rutschte zu Boden. Mit weit aufgerissenen Augen und einem wie vor Überraschung offen stehenden Mund sank er langsam nach hinten. Auf seiner Brust bildete sich ein roter Heck.
Der zweite Mann hielt das Opfer fest und drückte es zurück an das Kunstwerk hinter ihm. So verhinderte er, dass der Verletzte seitlich zu Boden fiel. Der Schütze trat nah an den Sterbenden heran, hielt die Waffe in die Herzgegend und drückte ein drittes Mal ab. Der Körper zuckte kurz auf und wurde dann schlaff.
Die Täter durchsuchten rasch die Kleidung des Mannes, nahmen seine Brieftasche an sich, schnappten den Aktenkoffer und entfernten sich zügig, aber ohne Hast, zurück in Richtung Münsterstraße.
Wenig später schnupperte der Hund einer jungen Frau an der Leiche. Seine Besitzerin näherte sich, nachdem ihr Liebling auf ihr Rufen nicht reagierte, dem Denkmal.
»Pfui, Felix, pfui.« Sie wandte sich an den Toten, den sie zunächst nur von der Seite sah. »Entschuldigen Sie bitte, das macht er sonst nicht. Aber er tut nichts. Felix, hierher, Felix…«
Die Frau beugte sich zu ihrem Hund hinunter, um ihn am Halsband zu greifen. Dabei entdeckte sie den roten Fleck, der sich auf dem Erdreich gebildet hatte. Sie verfolgte mit ihren Blicken die Blutspur über das rechte Hosenbein des Opfers nach oben bis zum blutüberströmten Brustkorb, sah den offenen Mund und
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