Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
eine Studentin halten.« Adam veränderte seine Haltung. Der übermäßige Stress und die Anspannung machten ihn derart nervös, dass sich sein Körper trotz der Hitze nach einem langen Lauf sehnte. Mit grimmiger Entschlossenheit unterdrückte er seine Energie. Eins nach dem anderen.
»Er ist sicher, dass er sie gesehen hat, nur eben eine drogenabhängige Version von ihr.« Adam starrte aus dem Fenster. Der tiefblaue Himmel wurde blasser, je weiter die Sonne nach Westen glitt. Die Nacht brach herein. Ein weiterer verlorener Tag.
Zwei Monate waren seit dem Verschwinden von Talia O’Brien und ihrer Mitbewohnerin Melanie Prader vergangen. Die Familie Prader hatte überall auf dem Campus der Universität von Maryland Fotos von Melanie aufgehängt und es sogar zu einem Beitrag in den Fernsehnachrichten gebracht, in dem die Mutter des Mädchens vor der fetten Schlagzeile Haben Sie Melanie gesehen? inständig um Hilfe flehte.
Trotz all seiner Möglichkeiten hatte Adam kaum mehr erreicht. Er fahndete über den Campus hinaus im gesamten Bundesstaat, dann landesweit nach Talia und Melanie. Er suchte in öffentlichen Anstalten nach ihr, bei Sekten und in Kreisen organisierter Kriminalität, verlangte Gefälligkeiten und regte den Informationsfluss mit Barmitteln an. Auch das Internet bezog er mit ein, seine Leute trugen sich in Freundschaftslisten sowie öffentliche und private Foren ein. Verwirrende Foren.
Daraufhin war er mit Hinweisen überschüttet worden:
»Mit der scharfen Braut mit den kurzen Haaren habe ich in einer Bar in Chicago angebändelt … «
»Die Frau mit den langen Haaren sieht genauso aus wie die Vorschullehrerin von dem Kind meiner Schwester … «
»Das blonde Mädel wohnt im Keller einer Campusbibliothek. Für fünfzig Mäuse verrate ich, in welcher … «
Noch eine Sackgasse? Das konnte er nicht ertragen. Nach sechs Jahren Suche war Talia O’Brien die erste Person, die den Namen »Schattenmann« in einem Kontext benutzte, der seinem Bruder helfen konnte. Wenn sie noch lebte, würde er sie finden.
Adam zwang sich, im Präsens zu sprechen. »Talia O’Brien ist zuverlässig, solide und vertrauenswürdig. Berechenbar. Sie ist ihr ganzes Leben lang zur Schule gegangen. Ich wette, sie fühlt sich in der Nähe eines Campus am wohlsten. Wenn ein junger Kerl sie gesehen hat, haben das auch andere getan. Ich höre mich um.«
»Hätte sie sich im Winter für Arizona entschieden, wenn es hier angenehm warm ist, hätte ich das ja verstanden, aber wieso im Sommer bei dieser teuflischen Hitze?« Custo fädelte sich auf einer Schnellstraße mit der Nummer 101 ein. Der Verkehr glitt zügig über die Fahrbahn, die in dem gleißenden Licht beinahe weiß wirkte, wabernde Hitzewellen stiegen von ihr auf.
»Wenn sie hier ist, hat das einen Grund.«
Adam kannte Talia, er hatte sie genauso gründlich studiert wie sie die Gegenstände ihrer Forschung. Als Erstes hatte er Kontakt zur Universität aufgenommen, um an ihre Arbeit zu kommen. Ihre Schriften waren einfallsreich und zeichneten sich durch eine verquere Logik aus. Sie belegte ihre Behauptungen jedoch mit einer Fülle von Daten. Ihr Leben war geordnet und mit Studienzeiten und Kursen verplant, alle eingetragen in den Kalender für das laufende Semester, das sie dann nicht mehr bis zum Ende besucht hatte. Ihre Bücher waren sogar mit farbigen Aufklebern versehen. Zwei Tage hatte er gebraucht, um ihr System zu entschlüsseln, was ziemlich frustrierend gewesen war. Talia O’Brien mochte Kontrolle. Er bezweifelte stark, dass sie eine drogenabhängige Prostituierte war. Es entsprach einfach nicht ihrem Charakter, sich im Chaos zu verlieren.
Am University Drive verließen sie den Freeway und fuhren eine von Palmen gesäumte Straße am Rand des Campusgeländes hinunter. Zwei Jugendliche hingen in einem Schattenrechteck herum, das die untergehende Sonne hinter einem Gebäude bildete.
Custo drosselte die Geschwindigkeit und hielt an. Mit Talias Bild in der Hand sprang Adam aus dem Wagen. Augenblicklich trieb ihm die Hitze den Schweiß auf die Haut und trocknete ihn von innen aus.
Einer der Jugendlichen schüttelte den Kopf. Der Blick des anderen zuckte hoch zu dem Foto und zurück auf sein I-Phone. »Die kenne ich nicht.«
Vier Blocks weiter hatte sich eine größere Gruppe auf dem Parkplatz eines alten Supermarktes versammelt. Dunkelhäutige kleine Kerle, die die Schirme ihrer Baselballkappen tief ins Gesicht gezogen hatten.
» No la vi .« Die habe ich nicht
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