Zwienacht (German Edition)
grauen Himmel nach Anzeichen eines Gewitters ab. Früher, so überlegte er, konnte er sich nicht darin erinnern, dass es im Oktober jemals Gewitter gegeben hatte, aber seit einigen Jahren blitzte und donnerte es sogar gelegentlich im Winter. Das Klima befand sich im Wandel. Doch an diesem Nachmittag war es nur ganz normaler, feiner Regen, der auf die Stadt tropfte und ihn frösteln ließ.
Er fand Dr. Busch nicht unsympathisch, vielleicht ein wenig eitel, aber durchaus von der Sorte Mensch, zu der er Vertrauen fassen konnte. Es war gut, einen Anker in einer Phase seines Lebens zu haben, in der er manchmal glaubte, aus der Realität zu rutschen. Aber er war nicht aufrichtig gewesen, hatte seinen Beruf verheimlicht und jene Geschehnisse, die über einen Blitzschlag hinausgingen.
Es hatte einen Toten gegeben. Für den er nichts konnte, wie er sich immer wieder klar machte. Aber dennoch war jemand wenige Meter von ihm entfernt aus dem Leben geschleudert worden. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Der folgende Abend war nahezu geräuschlos, sogar das Baby des jungen Paares weinte nur ein einziges Mal. Ein, zwei Minuten lang, bis es von den Eltern getröstet wurde und die Flasche oder die Brust bekam.
Richards Ehe war zu kurz gewesen, um überhaupt Zeit für den Gedanken an Kinder aufkommen zu lassen. Er war froh darüber. Wie hätte er seinem Sohn und seiner Tochter das Geschehen auf dem Pausenhof der Grundschule erklären sollen? Nur ohne Verantwortung konnte er es sich leisten in Döbeln, hunderte Kilometer von seinem Geburtsort, unterzukriechen.
Er beobachtete eine Weile die Menschen in den gegenüberliegenden Häusern, sah das bläuliche Flackern der Fernseher, eine Frau, die in der Küche etwas zubereitete und den Rentner, wie immer im Unterhemd, der den Krummsäbel im Wohnzimmer von der Wand nahm und damit ein paar Hiebe gegen einen eingebildeten Gegner ausführte.
Eine Stunde nach Mitternacht wurden Richards Gliedmaßen bleischwer, die Gedanken zerfransten und er schlief am Schreibtisch ein.
Die Nacht blieb still.
Als er am nächsten Morgen aufwachte und Helligkeit den Raum flutete, konnte er es zunächst gar nicht fassen. Es war kurz vor neun. Er wusste nicht, wann er zuletzt so lange geschlafen hatte. Er grinste in den Tag. Die Schmerzen in seinem Rücken, hervorgerufen durch die unbequeme Position im Bürostuhl, nahm er gern in Kauf.
Er war gerade noch rechtzeitig wach geworden, um zu erleben, wie die Portugiesin aus ihrem Fiat sprang.
Heute sind wir ausnahmsweise beide gut gelaunt, sagte er zu sich.
Maria blieb eine gute Stunde in der Wohnung im zweiten Stock. Er stand am Fenster und wartete auf sie. Sie trat aus der Haustür, das dunkelbraune Haar wie immer mit einem bunten Band gebändigt, öffnete die Wagentür und stellte ihre Tasche auf den Beifahrersitz. Als sie den Motor des Fiats starten wollte, gab der nur ein metallenes Klack! von sich. Sie versuchte es erneut, ohne Erfolg.
Von seiner Position aus konnte Richard sehen, wie das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand und einer Mischung aus Hilflosigkeit und Verärgerung wich.
Richard eilte in die Küche, öffnete die Klappe unter der Spüle, wo er ein schmales Werkzeugsortiment aufbewahrte und kramte seinen einzigen Hammer hervor.
Während er die Treppe hinunterstürmte, fiel ihm ein, dass der Frau klar werden musste, dass er sie beobachtet hatte, wenn er so unmittelbar auf ihre Autopanne reagierte, aber da war er schon an der Tür.
Maria Couto dos Santos blickte dem Mann mit dem Hammer in der Hand erstaunt entgegen. Richard war ziemlich außer Atem. „Könnte der Anlasser sein“, keuchte er.
Sie stieg nicht aus. Ihre Stimme klang gedämpft aus dem Fahrzeuginneren. „Und deshalb wollen Sie mein Auto zertrümmern?“
Richard errötete ... dann grinste er. „Äh... nein, ich fuhr mal einen alten VW Käfer, der hatte das gleiche Problem. Man musste dem Anlasser immer einen Schlag mit dem Hammer verpassen. Es liegt an den Kohlen, wissen Sie?“
Sie stieg aus. „Sind Sie Automechaniker?“
Er grinste noch immer schafsmäßig. „Nein, wie gesagt, ich kenne mich nur ein bisschen damit aus.“ Er wechselte den Hammer in die linke Hand und streckte die rechte aus. „Ich bin Richard Gerling aus dem ersten Stock. Zufällig sah ich, dass Ihr Wagen nicht ansprang.“
„Gerling“, wiederholte die Frau. „Dann sind Sie der geheimnisvolle Neue.“
Richard wusste nichts zu antworten.
Sie machte mit der Hand eine wegwerfende Geste. „Nehmen Sie
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