Zwischen dir und mir
Augenbrauen zupfen. Kajal und Wimperntusche. Etwas mehr Lippenstift als sonst. Etwas höhere Absätze als üblich.
Nur die Handtasche fehlte noch – sie hielt inne. Sie hatte eine verrückte Idee, doch ihre Vernunft hatte sie an diesem Abend abgelegt. Ohne weiter nachzudenken, schnappte sie die etwas größere Ralph-Lauren -Tasche und öffnete leise die Tür ihres Zimmers. Ihre vorsichtigen Schritte führten sie barfuß, mit den Pumps in der Hand, am Arbeitszimmer ihres Vaters vorbei zur Treppe. Sie lauschte. Ihre Mutter duschte. Ihr Vater tippte E-Mails an seinem Computer. Ihr Bruder war auf einer Pyjamaparty bei Freunden. Die Luft war rein.
Als sie im Keller angekommen war und noch einmal nach oben horchte, blieb alles ruhig. Sie zog ihre Schuhe an und stolperte beinahe im Dunkeln, fing sich und fand die Tür zur Speisekammer. Die Leuchtstoffröhre flackerte auf und erhellte den Raum. Hier würde es nicht auffallen, wenn etwas verschwand. Rechts ein zwei Meter hohes Regal, das sich über die gesamte Wand erstreckte, voller Essen. Links. Ihr Ziel. Die Getränke. Sie ging an Rot- und Weißwein vorbei und stand vor dem Champagner, wo sie sich eine Flasche Moët&Chandon griff. Sie hielt kurz inne. Doch bevor sie sich’s anders überlegen konnte, nahm sie noch einen Veuve&Clicquot von dem Regalbrett darüber und verstaute die Flaschen in ihrer Umhängetasche.
Geschwind war sie nach oben geeilt und hatte – mit einem kurzen zufriedenen Blick in den Spiegel – den Flur durchquert. Die Hand schon am Türgriff verabschiedete sie sich noch. »Ich bin weg. Bei Marie.«
»Jetzt schon?« Die Stimme ihrer Mutter ließ sie zusammenfahren, als hätte eine kalte Hand sie im Nacken gepackt.
Noch einmal drehte sich Lisa auf den Absätzen herum. Da stand ihre Mutter auf der obersten Treppenstufe in ihrem hellblauen Bademantel.
»Ich habe dir doch schon vorhin gesagt, dass wir uns bei Marie treffen.«
»So früh? Und das Kleid? Ich wusste gar nicht, dass du das noch hast.«
»Dennis gefällt das Kleid … ich komm schon zu spät«, erklärte sie eilig mit einem Blick auf die Uhr, merkte aber, dass sie das Misstrauen kein Stück aus den Augen ihrer Mutter vertrieben hatte.
»Dennis?«
»Ja, er fand, dass es mir gut steht … und Marie hat heute ein paar Jungs eingeladen. Er ist auch dabei«, fügte sie hinzu, als ihre Mutter stutzte. Warum merkte sie sich auch jedes Wort so genau?
»Du hast es lange nicht getragen, warum erinnert er sich …« Ihre Mutter sprach den Satz nicht zu Ende und ging weiter auf sie zu, während sie sich die nassen Haare glatt strich. Das schmale Lächeln unter argwöhnischen Augen brachte Lisa weiter in Unsicherheit.
Sie griff die Handtasche etwas fester. Hatte ihre Mutter gehört, wie das Glas der beiden Flaschen aneinanderklirrte? Lisas Herz schlug unwillkürlich schneller.
»Willst du nicht noch etwas mit uns essen? Dein Vater ist doch heute extra früh nach Hause gekommen.«
»Es … es gibt bei Marie etwas zu essen«, lachte Lisa entschuldigend. Sie musste immer lachen, wenn ihre Mutter sie zu sehr in Bedrängnis brachte. »Also … werde ich schon nicht verhungern, Mama.«
»Du wolltest vorher Klavier üben.« Sie fragte nicht direkt nach. Doch Lisa merkte genau, wie sie weiter ihre Kleidung begutachtete.
»Ich übe morgen, Mama. Versprochen.«
Der Blick ihrer Mutter stellte zu viele Fragen und ließ sich von keiner Antwort zufriedenstellen.
»Du bist rechtzeitig zurück?«
»Na, klar.«
»Mitternacht. Nimm dir ein Taxi.« Sie ging zur Anrichte, ohne ihre Tochter aus den Augen zu lassen, und griff nach ihrem Portemonnaie. »Hier, das reicht, oder?« Sie drückte ihr einen Zehner in die Hand.
Marie wohnte nur ein paar Straßen weiter. Ein Taxi zu nehmen war mehr als unsinnig.
Lisa nickte nur stumm und wich ihrem prüfenden Blick aus. »Danke, Mama.« Ihre Hand lag schon wieder auf der Türklinke. In der festen Hoffnung, diesmal zu entkommen.
»Trink nicht zu viel. Du weißt, dass du das eigentlich noch nicht darfst. Ein Glas Sekt reicht.«
Warum bekam sie immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Mutter belog. Sie hasste diese Gefühle. »Ja, Mama.«
Ein kalter Kuss verabschiedete Lisa in die kühle Abendluft.
Endlich stand sie vor Maries Haustür. Nie war sie so nervös gewesen. Zu Mädelsabenden trafen sie sich seit der fünften Klasse. Seit sie dreizehn waren, tranken sie auch häufiger. Je nachdem, ob Eltern da waren oder nicht, etwas mehr oder etwas weniger. Sie
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