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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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fehlt.«
    Kristy setzte die Aufzählung fort: »Monica war fürs Eis zuständig, Wes für Gläser und Sekt. Was bedeutet, verantwortlich für den Schinken   –« Sie unterbrach sich, setzte in unheilvollem Ton wieder an: »Delia . . .?!«
    »Was?« Delias Kopf schoss aus einer Kiste mit Brot. »Nein, glaube ich nicht. Meine Verantwortung war . . .«
    Wir warteten schweigend darauf, dass sie weitersprach. Schließlich hatte
sie
das System eingeführt.
    ». . . der Hauptgang«, sagte sie schließlich.
    »Oha«, meinte Bert.
    »Mist!« Delia schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ich weiß noch, ich habe die Braten extra auf die Anrichte gelegt, weil ich Angst hatte, wir würden sie vergessen. Und als wir dann alles in den Lieferwagen luden, habe ich sie . . .«
    Wieder warteten wir schweigend, dass sie weitersprach.
    ». . . nur mal kurz zwischendurch hinten auf mein Auto gelegt, auf die Klappe vom Kofferraum.« Delia legte die Hand auf die Stirn und ließ sie da. »Das gibt’s nicht«, flüsterte sie, als würden wir taub, wenn sie in normaler Lautstärke sprach, weil die Wahrheit einfach zu furchtbar war. »Sie liegen noch zu Hause. Auf meinem Kofferraum.«
    »Oha«, wiederholte Bert. Und er hatte Recht: Um zu Delia zu fahren, hätte man eine halbe Stunde gebraucht   – und eine halbe wieder zurück. Aber die Gäste wollten ihren Schinken in zehn Minuten.
    Delia lehnte sich an den Herd. »Was für ein Desaster!«
    Und dann sagte etwa eine Minute lang niemand mehr was. Ich arbeitete zwar noch nicht lange bei
Wish Catering
, wusste aber inzwischen aus Erfahrung, dass diese bedeutungsschweren Pausen immer dann entstanden, wenn allen dämmerte, wie tief der Karren mal wieder im Dreck steckte.
    Und wie jedes Mal ergriff Delia tatkräftig die Initiative. »Okay, Leute, so machen wir’s . . .«
     
    Inzwischen hatte ich   – den ersten Abend nicht mit eingerechnet   – dreimal für Delia gearbeitet: Bei einer Cocktailparty, einem Brunch und einem fünfzigsten Geburtstag. Und jedes Mal hatte ich mich mindestens einmal ernstlich über mich selbst und darüber gewundert, warum ich mir den Job eigentlich aufgehalst hatte. Einmal lag es an einemalten Mann, der mir in den Hintern kniff, als ich mit meiner Vorspeisenplatte an ihm vorbeilief; ein anderes Mal stießen Kristy und ich so heftig zusammen, dass ihr Tablett meine Nase rammte und es Lachshäppchen über mein T-Shirt regnete; und das dritte Mal erschreckte Bert mich zu Tode (damit hatte er nämlich längst angefangen, schon vor dem Schinken-Essen im
Lakeview Inn
, von wegen Schonzeit!), als er unvermittelt hinter einem Garderobenständer hervorstürzte, was sowohl den Tellerstapel in meiner Hand als auch meinen Puls in schwindelnde Höhen jagte. Doch jedes Mal wenn die Veranstaltung vorbei war, fühlte ich mich auf eine seltsame Weise ruhig, geradezu friedlich. Als würde sich durch die paar Stunden Chaos, Hektik und Wahnsinn etwas in mir entspannen, würden Verkrampfungen und Knoten sich lösen. Zumindest für eine gewisse Zeit.
    Vor allem machte der Job einfach Spaß. Auch wenn ich immer noch dazulernte, manchmal durchaus schmerzlich. Zum Beispiel mich zu ducken, wenn Kristy »Ladung im Anmarsch!« brüllte, weil sie irgendetwas   – eine Packung Servietten, ein Tablett, eine Spaghettizange   – so rasch durch den Raum befördern musste, dass ihr nichts anderes übrig blieb als das Teil von A nach B zu werfen; oder mich unter gar keinen Umständen vor eine Schwingtür zu stellen, weil Bert die immer ohne jede Rücksicht mit Karacho aufstieß. Ich wusste mittlerweile, dass Delia vor sich hin summte, wenn sie nervös war (meistens
American Pie
), Monica hingegen niemals nervös wurde, im Gegenteil: Selbst wenn wir anderen vor lauter Hektik fast durchdrehten, setzte sie sich in irgendeine Ecke, um sich in aller Ruhe ein paar Shrimps oder Krabbenpastetchen zu genehmigen. Und ich hatte die Erfahrung gemacht, dass ich bei jedem Engpass, jedem Problem, mit dem ich klarkommen musste,nur Richtung Bar zu schauen brauchte und prompt moralische Unterstützung erhielt. Denn Wes war immer solidarisch und zeigte mir das auch: Lächelte mich mitfühlend an, zog ironisch die Augenbrauen hoch oder machte halblaut eine spöttische Bemerkung. Dieses Gefühl   – dass jemand auf meiner Seite stand   – hatte ich bei meinem Job in der Bibliothek nie. Ehrlich gesagt, ich hatte es eigentlich überhaupt nie. Wahrscheinlich war das der Grund, warum es sich so gut

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