Zwischen jetzt und immer
anfühlte.
Doch irgendwann waren das Essen, die Party, der Empfang vorbei. Wenn Delia kassierte, während wir lachend und schwatzend den Lieferwagen mit leeren Behältern beluden und uns gegenseitig die neuesten Geschichten von Grabschern, Schlingern & Co erzählten, klang der Rausch, den ich bei der Arbeit empfunden hatte, allmählich ab. Und plötzlich fiel mir auch wieder ein, dass ich ja am nächsten Morgen pünktlich am Infoschalter der Bibliothek zu sein hatte. In diesen Momenten konnte ich förmlich fühlen, wie ich mich schön langsam wieder auf die Grenze zu meinem wirklichen, meinem richtigen Leben zu bewegte, sie schließlich überquerte.
Und jedes Mal, wenn wir bei Delia in der Garage standen und die letzten Sachen wieder einräumten, die wir an dem Abend gebraucht hatten, fragte Kristy: »Wir ziehen noch ein bisschen um die Häuser, Macy, kommst du mit?«
Obwohl ich jedes Mal ablehnte, lud sie mich jedes Mal ein mitzukommen. Worüber ich mich jedes Mal freute. Selbst wenn man nicht kann, ist es schön, zu wissen, dass man könnte.
»Geht nicht«, antwortete ich. »Ich habe noch was zu tun.«
Sie zuckte die Schultern. »Okay, vielleicht ein andermal.«
So lief es jedes Mal ab, ein eingespielter Dialog. Bis Kristy eines Abends die Augen zusammenkniff und mich neugierig, ja prüfend musterte: »Was hast du eigentlich immer so Wichtiges zu tun?«
»Ach, du weißt schon, Sachen für die Schule und so.«
Monica schüttelte den Kopf. »Hör bloß auf.«
»Aber ich muss für den College-Vorbereitungskurs lernen«, verteidigte ich mich. »Und ich habe noch einen anderen Job, vormittags.«
Kristy schnitt eine Grimasse. »Es ist Sommer. Ich weiß zwar, dass du eine kleine Klugscheißerin bist, aber selbst du brauchst mal ’ne Pause, oder etwa nicht? Das Leben ist noch lang.«
Vielleicht, dachte ich im Stillen. Vielleicht auch nicht. Doch das sprach ich nicht aus, sondern sagte stattdessen: »Weißt du, ich habe einfach viel um die Ohren, das ist alles.«
»Okay, dann viel Spaß«, antwortete sie. »Und lern ein bisschen für mich mit, kann ich gut gebrauchen.«
Zu Hause war ich nach wie vor die lächelnde Alles-in-Ordnung-Macy, die jeden kleinsten Spritzer umgehend von der Arbeitsplatte wischte und ihre Sachen sofort bügelte, nachdem sie sie aus dem Trockner genommen hatte. Doch nach der Arbeit für
Wish Catering
war ich jemand anderer: ein Mädchen mit Flecken auf den Klamotten und einer Frisur, die keine mehr war. Außerdem roch ich nach dem, womit ich an dem Abend bekleckert oder beschmiert worden war. So eine Art umgekehrtes Aschenputtel: tagsüber Prinzessin, nachts arme Dienstmagd. Tagsüber achtete ich eisern auf Ordnung, Disziplin und Sauberkeit, nachts war mir das plötzlich egal, bis ich mich – gerade rechtzeitig – um Schlag Mitternacht in die Prinzessin zurückverwandelte.
Wie alle anderen Krisen bewältigten wir auch das Schinkendesaster, irgendwie. Wes raste zu einem Feinkostgeschäft, wo man Delia noch einen Gefallen schuldete. Kristy und ich servierten den Gästen Appetithäppchen bis zum Abwinken und schmetterten sämtliche Fragen, wann endlich der Hauptgang serviert werde, mit Wimpernklimpern und strahlendem Lächeln ab (Kristys Idee, wessen sonst?). Als der Schinken schließlich mit fünfundvierzigminütiger Verspätung aufgetragen wurde, entpuppte er sich als voller Erfolg, und am Ende gingen alle glücklich nach Hause.
Es war schon halb elf, als ich von der Hauptstraße nach Wildflower Ridge abbog. Das Licht meiner Scheinwerfer glitt über den Rasen des kleinen Parks in der Mitte der Siedlung, dann in die Sackgasse, an deren Ende wir wohnen; in dem Licht sah ich unser Haus, unseren Briefkasten, unsere Auffahrt, alles wie immer. Und dann sah ich plötzlich etwas anderes.
Den Truck meines Vaters.
Er stand genau an der Stelle, wo er ihn auch immer geparkt hatte: links vor der Garage. Ich hielt dahinter an, stellte den Motor ab und starrte den Truck einen Moment lang stumm an. Es war tatsächlich der meines Vaters, kein Zweifel, ich hätte ihn überall auf der Welt erkannt. Rostige Stoßstange, darüber der Aufkleber ESSEN . . . SCHLAFEN . . . ANGELN, Werkzeugkasten hinten drauf, mit der Delle in der Mitte, da, wo ihm vor ein paar Jahren die Kettensäge aus der Hand gerutscht und draufgekracht war. Ich stieg aus, ging rüber und berührte mit den Fingerspitzen das Nummernschild. Wobei ich nicht überrascht gewesen wäre, wenn sich der Truck bei der Berührung in Luft
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