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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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heraus, dass meine Schwester aus einem ganz bestimmten Grund »mal eben vorbeigekommen« war: Sie hatte eine Mission.
    »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Papa es so gewollt hätte.« Beim Sprechen warf Caroline unserer Kellnerin, die gerade vorbeidüste, einen fragenden Blick zu, nach dem Motto: Wo bleibt eigentlich unser Essen? »Papa liebte das Haus. Und was passiert jetzt damit? Es gammelt vor sich hin. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Sand sich im Wohnzimmer angesammelt hat, und die Treppe zum Strand runter ist total schief und wackelig. Es sieht übel aus. Bist du überhaupt schon mal dort gewesen, seit er gestorben ist?«
    Sosehr meine Mutter sich auch bemühte ihr übliches Pokerface zu machen   – man sah genau, welche unterschiedlichenGefühle sich beim Zuhören auf ihrem Gesicht widerspiegelten. Sie konnte gar nicht anders als so zu reagieren, denn Caroline missachtete gerade sämtliche Regeln, auf die wir uns seit dem Tod meines Vaters stillschweigend geeinigt hatten: wie wir über ihn sprachen, was genau gesagt wurde und vor allem was nicht. Mein Vater verkörperte die Vergangenheit. Meine Mutter und ich konzentrierten uns eisern auf die Zukunft. Aber meine Schwester schien anders damit umzugehen. Ihr eigenes Auto hatte eine Panne, Dichtungsmanschette defekt oder so was, deswegen hatte sie es kurz entschlossen dort gelassen und stattdessen seinen Truck genommen, um zu uns zu fahren. Seitdem ließ mich das Gefühl nicht mehr los, sie hätte nicht nur seinen Wagen vom Meer mitgebracht, sondern ihn gleich mit.
    »Ich habe zurzeit wirklich andere Sorgen als ein Ferienhaus, Caroline«, sagte meine Mutter.
    Unsere Kellnerin kam schon wieder mit leeren Händen an unserem Tisch vorbei und warf uns einen leicht nervösen Blick zu. Zu Recht   – wir warteten schon seit über zwanzig Minuten auf unser Essen.
    »Der neue Bauabschnitt geht gerade in die entscheidende Phase und es gibt jede Menge neue Vorschriften, vor allem was die Grundstücksgrenzen angeht, und   –«
    Caroline fiel ihr ins Wort: »Ich weiß. Und ich weiß auch, wie schwer das alles gewesen ist, für euch beide.«
    »Das bezweifle ich.« Meine Mutter legte die Hand um ihr Wasserglas, aber sie trank nicht. »Sonst würdest du nämlich verstehen, dass ich über das Thema momentan nicht reden möchte.«
    Meine Schwester lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Als sie schließlich weitersprach, drehte sie ihren Ehering um den Finger, wieder und wieder. »Ich will dich nicht ärgernoder verletzen, Mama. Ich meine doch bloß . . . es ist jetzt anderthalb Jahre her und vielleicht wird es allmählich Zeit, drüber hinwegzukommen. Weiterzuleben. Papa hätte nicht gewollt, dass du die ganze Zeit so unglücklich bist. Das weiß ich einfach.«
    »Ich dachte, dir geht es um das Ferienhaus«, sagte meine Mutter steif.
    »Ja, aber nicht nur«, antwortete Caroline. »Du kannst dich nicht ewig in deiner Arbeit vergraben. Wann seid ihr das letzte Mal weggefahren, Macy und du? Ihr unternehmt überhaupt nichts mehr.«
    »Ich war erst vor kurzem am Meer.«
    »Ja, aber geschäftlich«, hielt Caroline dagegen. »Du arbeitest bis spät in die Nacht, du stehst jeden Tag irrsinnig früh auf, du denkst an nichts anderes mehr als an deine Bauprojekte. Macy geht nie aus. Anstatt was mit ihren Freunden zu machen, verkriecht sie sich mit ihren Büchern auf ihrem Zimmer. Aber sie wird nicht für immer siebzehn bleiben   –«
    Jetzt fiel ich ihr ins Wort: »Mir geht’s gut.«
    Meine Schwester sah mich an. Ihr Gesicht wurde ganz weich. »Ich weiß, aber ich mache mir trotzdem Sorgen um dich. Ich habe einfach Angst, du verpasst etwas, das du später nicht mehr erleben kannst.«
    »Nicht jeder ist so umtriebig wie du, Caroline, nicht jeder muss ständig etwas unternehmen, um sich gut zu fühlen«, sagte meine Mutter. »Macy konzentriert sich eben lieber auf die Schule, dafür hat sie hervorragende Zensuren. Und einen wunderbaren Freund. Nur weil sie sich nicht nachts um zwei noch in der Gegend rumtreibt und Bier trinkt, heißt das nicht, sie hätte kein richtiges Leben.«
    »Ich behaupte nicht, dass sie kein richtiges Leben hat«,erwiderte Caroline. »Ich finde bloß, sie ist zu jung, um alles so tierisch ernst zu nehmen.«
    »Mir geht’s gut«, wiederholte ich etwas lauter, worauf mich beide ansahen. »Wirklich«, betonte ich.
    »Ich sage doch nur, dass es euch beiden gut täte, ein bisschen mehr Spaß zu haben.« Caroline blieb beharrlich. »Und deshalb

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