Zwischen Licht und Dunkel
jedenfalls zur Hoffnungslosigkeit der deutschen Nachkriegszeit. Über zweihundert Frauen ergriffen diese Chance beim Schopfe, die Hälfte von ihnen aus Hamburg und Lübeck. Ein oder zwei Jahre sollten es werden. Aber wie das Leben so spielt … Schätzungsweise fünfzig bis sechzig von ihnen waren schon nach dem ersten Islandjahr mit einem Isländer verheiratet, gründeten eine Familie, blieben und sind heute noch hier. So wurde aus dem zeitlich befristeten Arbeitsaufenthalt ein ganzes Leben und Island zur neuen Heimat.
Mit Untersuchungen zur Integration dieser deutschen Frauen in die isländische Gesellschaft brachte es eine isländische Anthropologie-Studentin sogar zur Doktorwürde. Die Geschichten, die sie zu hören bekam, lassen folgendes durchblicken: Es war schwer am Anfang und beinahe alles ganz anders als in Deutschland. Die unbekannte Sprache war selbstverständlich eine große Anfangshürde, die von vielen aber letztendlich mit Bravour genommen wurde. Die Frauen vermissten natürlich ihre deutsche Heimat, aber man hatte zum Glück immer im Hinterkopf, bald wieder dorthin zurückkehren zu können. Aber trotz aller Anfangsschwierigkeiten wurden sie als Neuankömmlinge durchwegs gut aufgenommen … Parallelen zu meiner ganz persönlichen Island-Geschichte?
Seit geraumer Zeit sieht sich Island jedoch einer völlig neuen Situation gegenüber: Wahre Ströme von Einwanderern hielten in den letzten Jahren ihren Einzug auf die Atlantikinsel. Aber was heißt hier Einwanderer … Von „Neuen Isländern“ oder „Neubürgern“ spricht man. Das klingt viel besser. „Die ganze Welt auf einer Insel“ las ich einmal. Das kann man wohl so sagen. Fast die Hälfte dieser Neuen Isländer stammt aus Polen. Das erklärt nicht nur den polnisch sprechenden Banken-Filialleiter.
Nein, die Globalisierung machte auch vor Island nicht Halt. Zum 1. Januar 2009 hatten hier an die 25.000 Personen mit nicht-isländischer Staatsbürgerschaft ihren offiziellen Wohnsitz. Das entspricht einem Anteil von 7,6 % der Gesamtbevölkerung – die gebürtigen Nicht-Isländer nicht mitgezählt, die inzwischen die isländische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Das dürften nochmals etliche tausend Leute sein. Noch nie zuvor hatte mein Inselstaat eine derart hohe Ausländerrate gesehen. Auch wenn sie etwas niedriger liegt als zum Beispiel in Deutschland, darf man eines nicht vergessen: Island ist extrem sensibel, auch scheinbar Kleines macht sich überdurchschnittlich bemerkbar.
Der Grund für diese Entwicklung kann eigentlich nur einer sein: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Angesichts des Wirtschaftsbooms der vergangenen Jahre 1 gab die ursprüngliche Landesbevölkerung schlicht und einfach nicht mehr Arbeitskräfte her. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Aus dem Ausland. „Gehen Sie nach Island, dann können Sie morgen anfangen im neuen Job“, leitete die Bundesagentur für Arbeit den Hilferuf ihrer isländischen Kollegen weiter. Soweit ich weiß, wurden insbesondere Handwerker sozusagen nach Island „verliehen“. Etwa ein Zehntel der gesamten Arbeitskraft der Insel dürften die Neuen Isländer ausgemacht haben, bei einem Anteil von etwa 40 % aller Arbeiter im Baugewerbe. Mit anderen Worten und ganz nüchtern betrachtet hätte Island ohne die vielen Neubürger wirtschaftlich gleich einpacken können.
Ein Szenario, das uns Deutschen nicht ganz unbekannt ist. Schließlich hatte es auch in meiner alten Heimat einmal an allen Ecken und Enden an Arbeitskräften gemangelt. Die Lösung war gefunden und bald kamen die ersten ausländischen Arbeitnehmer in die Bundesrepublik, vor allem aus der Türkei. Wer hätte gedacht, dass viele derer, die doch eigentlich nur auf ein paar Jahre Gast sein sollten, ihre Familien nachholen und bleiben würden. So wurde Deutschland zum Einwanderungsland.
Es blieb nicht aus, dass die Angelegenheit „Einwanderer in Island“ alle Instanzen fordert. Staat, Stadt und Gemeinden. Kultus- und Sozialministerium, Schulen und Hochschulen, Unternehmen und Gewerkschaften. Im November 2007 hielt mit Paul Nikolov der erste Neubürger in Regierungskreise Einzug. Als Parlamentsmitglied mit dem erklärten Anliegen, für die Rechte der Zuwanderer einzutreten, unter anderem in Gehaltsfragen am Arbeitsmarkt. Denn man braucht nichts zu beschönigen: Einwanderer erhalten längst nicht immer den gleichen Lohn wie ihre isländischen Kollegen – bei gleicher Arbeit.
Auf Hochschulebene gab die Lage zum Beispiel Anlass für eine
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