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Zwischen Licht und Dunkel

Titel: Zwischen Licht und Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Spitzbart
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Hafen. Wer kennt es nicht, das Opernhaus im australischen Sydney. So etwas brauchte Island auch! In diesem Sinne wurde geplant und gebaut mit Geldern, die real niemals existiert hatten. Luftschlösser, auf Kredit gebaut. Nicht nur das Bauvorhaben „Konzert- und Kongresshalle“ kam mit der Finanzkrise umgehend zum Erliegen. Ruckzuck war das großartige Besucherzentrum geschlossen; sein Panoramafenster, das bislang Ausblick auf die Riesenbaustelle gewährt hatte, mit einem schwarzen Vorhang verhängt. Der geplante Eröffnungstermin Dezember 2009 wurde schlagartig Utopie. Ursprünglich als Vorzeigestück für ein blühendes Island gedacht, eingehüllt in Glasprismen, wurde die Konzert- und Kongresshalle zum Mahnmal für eine zusammengebrochene Wirtschaft; ein Beispiel für den Größenwahn und die Gier von ein paar Dutzend Menschen. „Wenn man Geld nur schnell genug herumreicht, vermittelt das die Illusion von Wachstum“ äußerte mir gegenüber ein Islandurlauber im Sommer 2009 – ein Finanzexperte. Wie wahr!
    Der Oktober 2008 wird sich auf meiner Insel nicht so schnell vergessen lassen: Anfang des Monats fiel das schöne isländische Kreditkartenhaus innerhalb von nur wenigen Tagen in sich zusammen. Einen vollen Tag lang lief mein Stefán ununterbrochen mit seinem Kopfhörer-Radio auf den Ohren herum. „Es sind ganz bemerkenswerte Dinge, die gerade auf Island geschehen!“ meinte er nur, zunächst nicht bereit zu näheren Erläuterungen. Denn aus sprachlichen Gründen – viele wirtschaftliche Fachausdrücke waren mir zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt – dauerte es bei mir etwas länger, bis der Ernst der Lage durchsickerte: die drei größten Banken des Landes – vor gar nicht allzulanger Zeit erst privatisiert – waren bankrott und wurden eine nach der anderen von der isländischen Finanzaufsicht übernommen. Island befand sich urplötzlich im Ausnahmezustand. Finanzkrise, Wirtschaftsdepression! Die isländische Bezeichnung dafür, kreppa , wurde zum Wort des Monats.
    Die Demonstrationen vor dem Parlament; der Zusammenbruch der Regierung; die vorgezogenen Neuwahlen … Ich will nicht die politischen Geschehnisse der vergangenen Monate und mittlerweile beinahe schon Jahre aufrollen. Denn das hat bereits Halldór Guðmundsson in seinem Buch „Wir sind alle Isländer“ äußerst anschaulich getan 1 . Vielmehr will ich das Wechselbad der Gefühle beschreiben, mit dem sich nach meiner Beobachtung ein Großteil der Isländer plötzlich konfrontiert sah.
    Panik war die erste Reaktion, die ich unter der Inselbevölkerung ausmachen konnte. Man fürchtete um seine Ersparnisse; versuchte zu retten, was zu retten war. Ich erinnere mich gut an die Fernsehbilder vom Ansturm auf sämtliche Bankfilialen. Bankkunden hoben ihr Vermögen ab; horteten es lieber unter dem Kopfkissen, als es irgendeiner Bank beziehungsweise dem Staat anzuvertrauen. Ich sehe auch noch den alten Mann – kein Einzelfall übrigens – vor mir, dessen komplette Lebensersparnisse futsch waren. Er hatte sie in „sicheren“ Papieren angelegt, die durch die Pleite seiner Bank wertlos wurden. Er weinte, als er davon im Fernsehen berichtete.
    Doch bald wich die anfängliche Panik einer Entschlossenheit, die ihresgleichen suchte. Der Normalbürger wollte sich die politischen Fehltritte der Obrigkeit einfach nicht gefallen lassen. „Weg mit der Regierung! Weg mit dem Notenbankdirektor! Neue Parlamentswahlen!“ schallte es von Woche zu Woche vehementer von dem zur Bühne umfunktionierten Lastwagen auf dem Austurvöllur , dem Platz vor dem Parlament. Ich persönlich beobachtete die Vorgänge lieber aus der Ferne, waren die Kundgebungen doch ohnehin bis zu unserer Wohnung in der Weststadt Reykjavíks zu hören. Ich empfand sie einerseits als etwas beängstigend, gleichzeitig aber auch als faszinierend – hatte ich doch meine Isländer bislang als äußerst gelassen erlebt. Bisweilen ließ die Intensität der aufgestauten Gefühle die Emotionen so sehr sprühen, dass Eier sowie anderes wurfgeeignetes Material nur so auf das Parlament flogen. Das Gebäude musste um die Jahreswende 2008/2009 fast jedes Wochenende einer gründlichen Fassadenreinigung unterzogen werden.
    Diese Vorfälle wiederum waren gefundenes Fressen für Zeitgenossen mit Sinn für Humor. Zu denen gehörten wie immer die Macher der samstäglichen Kommödienshow Spaugstofan , die postwendend vom Kurs zum Erwerb der „Eierwurferlaubnis“ berichteten, quasi des „Waffenscheins“ für

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