Zwischen Licht und Dunkel
Reich“ als Paradebeispiel für reine, arische Abstammung. Diese Art der Rassenlehre gehört zum Glück der Vergangenheit an, doch unabhängig davon behaupte ich folgendes: Das äußere Erscheinungsbild des isländischen Volkes gibt keinen Grund zur Beschwerde, dem männlichen Auge genauso wenig wie dem weiblichen. Auch nach etlichen Jahren in meiner Wahlheimat werde ich nicht müde, mir ihre Bewohner anzusehen. Sie müssen sich wirklich nicht verstecken. Für meinen Geschmack sind sie sogar äußerst attraktiv und ich habe schon viel angenehme Zeit in Isländer-Beobachtung investiert.
Männer vom beschriebenen Format eines Jón Páll sind allerdings ungefähr so leicht zu finden wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Ohne nachzumessen würde ich sagen, dass die Isländer mit ihrer Körpergröße im Europadurchschnitt liegen. Mit meinen 1,70 Metern komme ich mir unter ihnen weder besonders klein noch groß vor. Und ganz vertraulich unter uns Frauen: Nur die wenigsten Muskelpakete auf meiner Wahlinsel sind so monströs, dass sie sich nicht problemlos unter einem normalen Hemd oder Pullover verbergen ließen.
Auch die Klischeevorstellung von strohblondem Haar und himmelblauen Augen muss ich etwas erschüttern. Denn an Haarfarben ist auf meiner Insel alles vertreten, was die große weite Welt zu bieten hat. Aber ich gebe zu, dass ein schönes, original Michel- aus-Lönneberga-Blond doch häufig ins Auge sticht. Trotzdem gehen auch dunkle Typen wie ich ohne weiteres als Isländer durch. Leuchtende Rotschöpfe fallen mir nicht häufiger auf als anderswo auch. Dieser Beobachtung ist allerdings die Tatsache entgegenzuhalten, dass in regelmäßigen Abständen zum Wettbewerb „Rothaarigster Isländer“ geblasen wird. Was genau in die Kategorie „rothaarig“ fällt, ist wiederum Auslegungssache. So mancher Insulaner wird vielleicht behaupten „rot“ zu sein, obwohl sein Kopfhaar blonder nicht sein könnte. Wenn man dann allerdings die Bartstoppeln unter die Lupe nimmt … Seltenheitswert haben nach meiner Beobachtung echte Lockenköpfe. Was isländische Augenfarben betrifft, dürfte ebenfalls alles vorhanden sein. Meine persönliche Studie auf diesem Gebiet musste ich leider vorzeitig abbrechen, wollte ich doch meinen Stefán noch länger behalten.
Gibt es ihn also, den Isländer? Stattlich, blond und mit dem gewissen Etwas, das ich nicht wirklich beschreiben kann? Ich traue mir zu, ihn notfalls auch aus einer größeren internationalen Menschenmenge herauszupicken. Ich für meinen Teil habe mein ganz persönliches Exemplar gefunden. Mit braun-grünen Augen.
Dass es jedoch auf Island noch sehr viel bunter zugeht, ist wieder eine andere Geschichte. Davon wird das nachfolgende Kapitel berichten.
Neue Isländer
Ich schlage das Telefonbuch auf. Auf seinen ersten Seiten sind die „Anweisungen für die Öffentlichkeit im Falle von Naturkatastrophen in Island“ abgedruckt. Auf isländisch, englisch – und polnisch. Auch die Flughafen-Hinweisschilder haben in polnisch ihre Drittsprache gefunden. Die Website der Stadt Reykjavík verrät ihre Geheimnisse zusätzlich auf Thai. Und das Kärtchen mit den Telefonnummern für Frauen in Not ist gleich fünfsprachig: auch russisch wurde in das Sprachensortiment aufgenommen. Dass sich mehrsprachig online banken lässt, ist fast schon ein alter Zopf. Aber eine Bank ließ es sich gleich ein ganzseitiges Zeitungsinserat kosten, ihren neuen polnisch sprechenden Filialleiter vorzustellen. Stellenangebote in der Zeitung sind manchmal nur auf polnisch ausgeschrieben.
Obwohl wir deutschen Islandbewohner zum 1. Januar 2009 mit einer 1.140 Mann starken Truppe aufwarten konnten, werden wir kaum einmal explizit mit Zeilen in unserer Muttersprache bedacht. Weil wir so tüchtig im Isländisch-Lernen sind oder uns wenigstens auf englisch durchschlagen können? Vielleicht auch aus dem einfachen Grund, dass Deutsche auf Island fast schon Institution sind. Erst im November 2009 wurden 60 Jahre deutsche Einwanderung gefeiert. Deutschland schrieb nämlich seinen Teil der isländischen Einwanderer-Geschichte mit den „Esja- Mädchen“: deutschen Frauen, die 1949 als landwirtschaftliche Helferinnen mit dem Schiff Esja auf die Insel kamen. Der isländische Bauernverband hatte in diesem Belang ganz gezielt in deutschen Zeitungen inseriert. „Tüchtig und strebsam“ ist schließlich ein Ruf, der uns Deutschen bisweilen vorauseilt, wohl nicht ganz zu Unrecht. Eine willkommene Alternative
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