Zwischen Licht und Dunkel
isländisch reden wollen und uns daran liegt, dass die Kinder die Sprache lernen.“
Was meine ganz persönliche Stellung als Ausländer auf Island angeht, darf und will ich mich nicht beklagen. Von Anfang an wurde ich freundlich und mit Respekt behandelt, wo ich auch war. Kein einziges Mal wehten mir auch nur die leisesten Anzeichen dafür entgegen, nicht willkommen zu sein. Ich würde sagen, dass wir Deutschen hier oben zu den Ausländern zählen, denen es am leichtesten gemacht wird, so wie auch den Skandinaviern. Wir sind akzeptiert. Schwerer haben es diejenigen, denen man das Nicht-Isländisch-Sein ansieht. Eine ehemalige Arbeitskollegin hat zwar die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, aber ihre asiatische Abstammung lässt sich nicht verleugnen. Mir gegenüber ließ sie durchblicken, dass sie auf der Straße auch nach vielen Island-Jahren angestarrt wird. Dabei steht sie mit ihrem leicht exotischen Äußeren keineswegs alleine auf weiter Flur: Immerhin kommt ein knappes Zehntel aller Neubürger aus einem asiatischen Land. Vor allem Philippinos, Thailänder, Vietnamesen und Chinesen haben ihre ursprüngliche Heimat gegen die Insel im Norden eingetauscht.
Aber Akzeptanz hin oder her … Ein „Isländer“ werde ich nie sein. Hierzu fehlen mir alleine schon die Bande aus Familie, Kindergarten und Schule, die für die gänzliche Aufnahme ins Sozialnetz offenbar Voraussetzung sind. Wer innerhalb von Deutschland zum Beispiel in eine andere Stadt umzieht, in der er niemanden kennt, sollte es trotzdem schaffen, sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Hier auf Island heißt es dagegen: einmal Reykjavík – immer Reykjavík. Du gehörst von Anfang an dazu – oder nie. Meine privaten Kontakte zu Isländern beschränken sich im großen und ganzen auf meine Familie. Isländische Freunde – oder gar eine isländische Freundin – habe ich nicht. Einige Bekannte … ja. Kontakte lassen sich am ehesten zu denjenigen Isländern pflegen, die selbst einmal Ausländer waren oder so wie ich in einer „gemischten“ Partnerschaft leben. Und natürlich zu all den anderen auf „meiner“ Seite. Ich weiß, dass meine Erfahrung kein Einzelfall ist. Anderen Neubürgern, die sogar viel länger als ich auf der Insel wohnen, ergeht es auch so.
Und natürlich tun wir Deutschen uns zusammen. Ein Schwatz in der Muttersprache ist einfach herrlich und es tut gut, die eigene Tradition leben zu können. Meine kleine Tochter soll doch auch all das kennenlernen, was für Mama eine Selbstverständlichkeit ist und ihr als Kind so viel Spaß gemacht hatte. Wenn dann im November ein „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne“ durch die Straßen schallt, sind wir wieder unterwegs. Sankt Martinstag! Dann zeigen wir den Isländern, wie präsent Deutschland auf Island ist.
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1 Siehe Kapitel „Vom Leben in der Krise“.
Vom Leben in der Krise
Ich war dabei, erlebte Aufstieg und Fall einer ganzen Nation hautnah mit. Und das innerhalb von nur fünf Jahren! Als ich mich hier niederließ, befand sich Island im größten wirtschaftlichen Aufschwung seiner Geschichte. Die eigene Inselwelt war den Geschäftstüchtigen des Landes längst nicht mehr genug. Nachrichten über isländische Investitionen im Ausland überraschten nicht mehr: „Exportwikinger“ – eine neue Wortschöpfung – kauften Banken, Fluggesellschaften, Kaufhäuser und Lebensmittelketten.
Den für jeden sichtbaren Ausdruck fand die blühende Wirtschaftslage in einem unglaublichen Bauboom. Schon auf der zirka 50 km langen Fahrt von Islands internationalem Flughafen Keflavík nach Reykjavík konnte sich niemand dieser Tatsache entziehen. Die Wälder von Baukränen waren einfach nicht zu übersehen. Gläserne Bürobauten und Wohnhäuser, ganze Industriegebiete und nagelneue Siedlungskomplexe. Auch Hochhäuser hatten auf einmal keinen Seltenheitswert mehr. Reykjavíks Stadtbild hat sich dadurch in nur wenigen Jahren massiv verändert. Die mehrspurige Hauptstraße um den zentralen Busbahnhof herum. Die Glaspaläste an der Wasserfront. Der neue Campus der Universität von Island. Das alles wuchs innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden. Ich weiß von Isländern, die nach ein paar Jahren im Ausland auf ihre Heimatinsel zurückkehrten und Teile ihrer Geburtsstadt kaum mehr wiedererkannten.
Hier und dort wurde sogar ein Stück Meer in Baugrund verwandelt, zum Beispiel für das futuristisch anmutende Projekt „Konzert- und Kongresshalle“ an Reykjavíks altem
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