Zwischen Licht und Dunkel
unter die Dusche. Dort wasche man sich gründlich mit Seife. Als Hilfestellung markiert eine Tafel diejenigen Körperzonen, denen man sich bei der Reinigungsaktion besonders zu widmen hat. Nach Anlegen der Schwimmbekleidung steht dem Badevergügen nichts mehr im Wege. Ist man diesem hinreichend nachgegangen, trockne man sich nach dem erneuten Sprung unter die Dusche ab, und zwar in besagter Abtrockenzone. Erst dann geht es in den Umkleidebereich zurück. Vor dem Anziehen darf – meinen Beobachtungen bei den Damen zufolge – eingecremt und gepudert werden, was das Zeug hält. Zuletzt heißt es Schuhe schnüren, selbstverständlich außerhalb der Umkleidezone.
Ich finde es erstaunlich, mit welch eiserner Disziplin sich jeder an diese Vorgaben hält. Die Wettergewohnheiten rechtfertigen sie. Sollte ausnahmsweise jemand aus der Reihe tanzen, weist das Personal freundlich aber deutlich darauf hin. Ein Badmitarbeiter ist ohnehin fast immer unterwegs, um mit Gummischrubber und Besen zum beachtenswerten Gesamtergebnis beizutragen: Die Räumlichkeiten bleiben schön sauber und trocken. Aus genau diesem Grund sind übrigens nicht nur beim Schwimmbadbesuch die Füße herzuzeigen. Auf Island ist es eine Selbstverständlichkeit, sich vor dem Betreten aller möglichen Innenzonen seiner Schuhe zu entledigen. Das gilt für die Arztpraxis genauso wie für eine Privatwohnung. Raus aus den Schuhen also auch beim Besuch von Oma oder Freundin. Seit ich einmal peinlich berührt war, weil mein Strumpf ein Loch hatte, ist mir ein makelloser Sockenzustand ein besonderes Anliegen.
Dank meiner flexiblen Arbeitszeiten konnte ich mir Zeit für ausgiebige Schwimmbad-Studien nehmen. In Abhängigkeit von Tageszeit, Wochentag und Jahreszeit machte ich dabei folgende Badegast- Kategorien aus: Von Montag bis Freitag, jeweils vormittags, und außerhalb der Sommerferien sind es zum einen Schulkinder, die im Schwimmunterricht ihr Bestes geben, den Anweisungen ihres Trainers zu folgen. Sie haben immer Vorrang und für sie sind einige Beckenbahnen reserviert. Auch Eltern im Erziehungsurlaub, vor allem Mütter, nutzen die Gelegenheit, sich zusammen mit ihren Babies etwas Gutes zu tun. Den Hauptanteil an Schwimmern stellen aber ältere Herrschaften. Sie ziehen ihre Bahnen immer besonders konsequent. Auch bei wassergymnastischen Übungen sind sie hin und wieder zu beobachten. Mit fortgeschrittener Nachmittagsstunde steigt der Anteil an Berufstätigen und vor allem Kindern. Vor letzteren wimmelt es an Wochenenden und vor allem in den langen Sommerferien ganztägig. Dann liegen auch die allseits vertrauten Freibadgeräusche in der Luft.
Sobald auch nur ein einziger Sonnenstrahl durchkommt, gleichen die Bänkchen im Freien im Nu gut besetzten Hühnerstangen und die Liegestühle stehen dicht an dicht. „Flachmagen“ wird die Position genannt, in der sich der Sonnenanbeter auf dem Liegestuhl ausstreckt in dem Bemühen, der Sonne eine möglichst große Angriffsfläche zu bieten. Nach allgemeinem Verständnis verträgliche Außentemperaturen sind für derartige Aktivitäten keine Voraussetzung. „This is hardcore, baby!“
Zugegeben, die eigentliche Schwimmerei finde ich bis heute nicht besonders spannend. Aber Brust, Rücken und Schmetterling sind sowieso nicht das Hauptziel eines isländischen Schwimmbadbesuchs. Diese Pflichtübung kann man unter Umständen sogar ganz auslassen. Viel wichtiger ist es, in einem kleinen, runden und „Heißer Topf“ genannten Becken zu sitzen und Sozialkontakte zu pflegen. Es stimmt schon, wie es so oft über Island geschrieben steht: Der Engländer geht hierfür in den Pub, der Finne in die Sauna – und der Isländer ins Schwimmbad. Eines hatte ich in diesem Zusammenhang bald herausgefunden: Wer immer zur gleichen Zeit im Topf sitzt, wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch immer wieder die gleichen Leute treffen. Oder wenigstens den harten Kern von ihnen. Nur in seltenen Fällen werden sich die Topfgenossen gegenseitig anschweigen. Vielmehr gehören angeregte Gespräche zum guten Topfton. Thematisch ist fast alles erlaubt. Was mit einem „Das Wetter ist aber schön heute“ beginnt, kann den Weg über das Familienfest vom Vorabend nehmen und beim letzten Weltkrieg enden. Was ursprünglich als Zwie- oder Vielgespräch angedacht ist, fällt im ungünstigen Fall auch einmal als Monolog aus. Besonders ältere Herren tendieren dazu. Ich für meinen Teil gewöhnte es mir an, beim Einsteigen in einen „Heißen Topf“ die
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