Zwischen Licht und Dunkel
befreundete Tagesmutter kann ich hiervon selbst ein Liedchen singen und sage nur: Hut ab! Ein echter Knochenjob! Zumindest bis zum Wirtschaftscrash waren Tagesmütter trotz des enormen Bedarfs echte Mangelware, aufgrund der allgemeinen Knappheit an Arbeitskräften. Eltern taten deshalb gut daran, den kleinen Kandidaten möglichst schon vor seiner Geburt bei einer Tagesmutter anzumelden – und sich von Anfang an mit dem Gedanken anzufreunden, dass er sie wahrscheinlich irgendwann „Mama“ nennen wird.
Anfangs erstaunte es mich, mit welcher Selbstverständlichkeit isländische Eltern schon ihre Babys in Betreuung geben. Eine Einstellung, mit der sich wohl viele deutsche Köpfe schwer tun. Trotzdem ließ ich mich in Maßen von ihr anstecken. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass die Kleinsten von gleichaltriger Gesellschaft sichtlich angetan sind. So wagte ich es einfach und überließ meine achtmonatige Anna den sicheren Händen der Kinderbetreuung im Fitnesscenter, während ich Gymnastik machte. Wunderbar!
Da Islands Kindergärten endlich wieder voll bemannt sind, darf zu Recht gehofft werden, dass bald das Briefchen der Stadt Reykjavík mit der frohen Botschaft eintrifft, für den Sprössling einen Kindergartenplatz zu haben. Am besten spätestens ab eineinhalb Lebensjahren und für acht oder neun Stunden täglich – ein wahrlich langer Arbeitstag.
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1 Siehe Kapitel „Arbeitswut“.
2 Siehe Kapitel „Eine kleine Namenskunde“.
Bildungshunger
Schule, Hochschule und ab ins Arbeitsleben? Der Isländer ist nicht nur gut gebildet, er hört auch nie auf zu studieren. Die schnurgerade Ausbildungsund Berufskarriere ist deshalb auf Island selten. Arbeiten und nebenbei einen Kurs belegen. Eine „Studienpause“ von der Arbeit nehmen und dann in einer höheren Position wieder einsteigen. Oder umgekehrt nach den ersten Studiensemestern ein paar Arbeitsjahre einlegen, um die persönliche Finanzlage aufzustocken. Solche Variationen sind eher nach isländischem Geschmack.
Dabei muss es nicht einmal ein kompletter Hochschulstudiengang sein. Auch mit nur einem Kurs oder einem Abend pro Woche lässt sich nach und nach, notfalls über ein paar Winter verteilt, selbst neben dem Vollzeitjob ein Abschlusszeugnis nach Hause tragen. Meine ehemalige Nachbarin, Anfang fünfzig und alleinerziehende Mutter zweier Teenager-Töchter befasste sich zum Beispiel an der Abendschule mit Psychologie. Und zwei von Stefáns Cousinen eigneten sich auf diese Weise Führungsqualitäten an.
Winterzeit ist gleichzeitig Lernzeit. Das Kursangebot ist wahrlich überwältigend, insbesondere was die Erwachsenenbildung betrifft. Von der Volkshochschule bis zur Hochschule ist alles geboten, was das isländische Herz nur begehren kann. Vielleicht Computer oder Management? Lieber Buchhaltung oder Fremdsprachen? Sobald sich der Islandsommer im August seinem Ende neigt, kündigt sich eine neue Lernsaison an. Dann legen sich die Kursanbieter mit allen Kräften ins Zeug, um potentielle Teilnehmer zum Anmelden zu verführen. Die Werbeanzeigen und -broschüren quellen nur so aus dem Briefkasten. Ich glaube gar, dass der Lauf des Islandjahres dem isländischen Bildungsdrang angepasst ist: Keine vier Jahreszeiten bestimmen es, sondern die zwei Phasen „Sommer“ von Juni bis August und „Studieren“ von September bis Mai – ein (Hoch)schuljahr. Kurioserweise gibt es aber überhaupt keinen Winter, wenn man dem Lehrplan glauben soll. Nur Herbst- und Frühlingssemester.
Doch auch im bildungsverrückten Island beginnt die Karriere eines jeden ganz normal: Mit zehn Jahren Grundschulpflicht von sechs bis sechzehn. Bei der Zeugnisvergabe heißt es aufpassen: Denn wer Einser und Zweier einheimst, wird hier kein Lob ernten. Statt dessen gilt es bei einer Bewertungsskala von Null bis Zehn so hoch wie möglich zu punkten. Nach erfolgreich abgeschlossener Grundschule dürfen sich die Teenager mit voller Kraft ins Arbeitsleben stürzen – rein theoretisch zumindest. Doch die allermeisten entscheiden sich dafür, die Schulbank trotz aller Widerwärtigkeiten wie Hausaufgaben an einer weiterführenden Schule vier Jahre länger zu drücken. Für den ganz Fleißigen und Strebsamen lässt sich der Unterrichtsstoff unter Umständen auch in kürzerer Zeit absolvieren. Der eine oder andere wird sich vor dem Weiterlernen zwar erst einmal für eine Weile auf dem Arbeitsmarkt versuchen, aber das ist ja kein Problem. Auf alle Fälle heißt es
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