Zwischen Licht und Dunkel
sich jetzt entscheiden: Welcher Schulzweig darf es sein? Naturwissenschaftlich, sprachlich oder musisch? Oder etwas ganz anderes? Einerseits finde ich es nicht schlecht, die Weichen für den Ausbildungsschwerpunkt erst mit sechzehn zu stellen. Wo doch in deutschen Landen den Eltern die Überlegung oft schlaflose Nächte kostet, wie es für den gerade einmal zehnjährigen Sprössling nach vier Jahren Grundschule weitergehen soll. Anderseits werden natürlich nach der isländischen Methode alle Schüler sehr lange Zeit über den gleichen Kamm geschert. Aber was ist schon ideal … Die Idee, diese vier Zusatz-Jahre in absehbarer Zeit generell um eines zu verkürzen, riecht stark nach G8, der Reduzierung der deutschen Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre.
Jährlich im Mai, am letzten regulären Tag des Schuljahres, bevor die Vorbereitungsphase auf die Abschlussprüfungen beginnt, ist dimisjón angesagt: Ganze Horden junger Leute in wilden Einheitskostümen wirbeln durch die Stadt, zum Beispiel als Krankenschwestern, Häschen oder Sträflinge verkleidet, und geben damit kund: Wir zählen (hoffentlich) bald zu den Glücklichen, die nach vierzehn Schuljahren den stúdentspróf in der Tasche haben, das isländische „Abitur“ und damit die allgemeine Hochschulreife. Nur dumm, wenn dann die Prüfung in die Hose geht …
Besondere Erwähnung verdient nach meinem Empfinden das Lehrer-Schüler-Verhältnis. Beide Parteien begegnen sich nämlich in der Regel so, wie es später auch im Arbeitsleben zu erwarten ist: meistens ganz entspannt. Der Lehrer – natürlich nach alter Gewohnheit mit seinem Vornamen und einem „Du“ betitelt 1 – ist eher Partner, Freund und Helfer als Respektsperson. Auch was das Sitzenbleiben mangels Leistung und damit die Zwangswiederholung eines Schuljahres betrifft, geht es hier bisweilen weniger streng zu. Tatsächlich soll schon der eine oder andere Wackelkandidat mit vereinten Klassenkräften und einem zugedrückten Auge seitens der Lehrerschaft „hindurch gezogen“ worden sein. So hat man es mir erzählt.
Auch vor den Hochschulen der Insel macht diese legere Lern- und Studieratmosphäre nicht Halt. Und davon gibt es wahrlich genug – bei der Bildungsfreudigkeit meiner Insulaner. Sieben Stück halten ihre Tore für den Studierwilligen auf und es lässt sich aus dem Vollen schöpfen, was das landesinterne Angebot an Hochschulstudiengängen angeht. Die einen bieten die komplette Bandbreite an Studienzweigen an, andere sind auf bestimmte Fachgebiete wie Landwirtschaft oder Kunst spezialisiert. Wem das nicht genügt, wird bestimmt im Ausland „seine” Uni finden.
Ganz umsonst ist der Studierspaß freilich nicht. Allerdings können die jährlichen Studiengebühren zum Beispiel an der staatlichen Universität von Island – der größten des Landes – durchaus günstiger ausfallen als ein einziger saftiger Strafzettel für Geschwindigkeitsübertretung. Wobei es meines Wissens nach keine Rolle spielt, ob man Vollzeitstudent ist oder nur ein einziges Unterrichtsfach belegt. Private Einrichtungen wie die Universität von Reykjavík sind teurer. Auch für das nötige Unterrichtsmaterial, vor allem Bücher, muss der Student selbst aufkommen. Ja, man lässt sich seine Bildung etwas kosten.
Wenn dann der erste Hochschulabschluss in Sicht kommt, könnte man sich eigentlich sofort in das nächste Lernprojekt stürzen. Einen Master obendrauf setzen? Gar einen Doktor? Oder ein komplettes Zweitstudium? Schließlich ist der Hochschulcampus nicht nur für taufrische Abiturienten gedacht. Wenn ich hin und wieder darüber spaziere, muss ich ohne Einschränkung feststellen, dass ich mit Anfang Vierzig offensichtlich noch im allerbesten Studieralter bin.
Und was meinen Gefährten betrifft … In Sachen „ewiger Student“ ist er geradezu ein Parade-Isländer. In den zwanzig Jahren, die seit seinem Abitur vergangen sind, „erstudierte“ er sich eine ganze Palette an Abschlüssen, größtenteils neben der Arbeit her in der Freizeit. „Weil es so viel Spaß macht”. Ein Erststudium im Tourismusbereich, zu dem sich später ein Bachelorabschluss plus zwei Mastertitel gesellten. Je ein Masterstudiengang in Erwachsenenbildung und Journalismus. Dazu das Allgemeine Zertifikat der Reiseleiterschule Islands, das später mit den Qualifikationen zum Wanderführer sowie Leiter von Incentive- und Abenteuerreisen verfeinert wurde. Stefáns neuestes Projekt heißt Öffentliche Verwaltung. Und was soll's, wenn bei
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