Zwischen Licht und Dunkel
den ersten Blick. Denn kein Arztbesuch ist hier „umsonst“. Beim Allgemeinarzt wird dem Patienten jedesmal gleich bei der Anmeldung ein Sümmchen abgeknöpft, das in etwa der deutschen Quartals-Praxisgebühr entspricht – sollte es gelungen sein, vor der magischen 16-Uhr-Grenze einen Termin zu ergattern. Bereits eine Minute später vervielfacht sich diese Gebühr wie durch Zauberhand. Noch deutlich tiefer darf man beim Spezialisten in die Tasche greifen. Ob Hautarzt, Ohrenarzt oder Frauenarzt … Pro Sitzung war ich bislang immer mit rund 70 % Selbstbeteiligung am Behandlungs- Gesamtbetrags dabei.
Allerdings muss ich eines hinzufügen: Wer über das Kalenderjahr hinweg eine bestimmte Summe berappt hat, bekommt auf Antrag eine Rabattkarte, die vergünstigte Gesundheitsservice-Leistungen für die Zukunft verspricht. Dumm ist dabei nur, dass zu jedem ersten Januar alles verfällt und es wieder bei Null von vorne losgeht. Wer wie ich allerdings das Glück hat, nur selten reif für den Doktor zu sein, wird es wahrscheinlich gar nicht bis zur Rabattkarte bringen.
Auch was Medikamente betrifft, wird der Patient zur Kasse gebeten. Er trägt 0 bis 100 % der Kosten selbst, je nach Art der Medizin. Lebensnotwendige Mittel gegen Krebs oder Diabetes zum Beispiel werden selbstverständlich gänzlich erstattet. Dabei kann der Gang zur Apotheke mit dem Rezept in der Hand echte Einkaufsgefühle auslösen. „Willst du warten oder wiederkommen?“ Warten selbstverständlich! Bis die verordnete Tablette, Salbe oder Tinktur hergerichtet ist, gibt es nämlich viel zu Erkunden. Wie ein Drogeriemarkt ist die isländische Apotheke ausgestattet. Vitaminpillen und Babyschnuller, Zahnbürste und Hautcreme, Dior, Chanel und Clinique. „Ursula!“ reißt mich eine Stimme aus dem Parfumschnuppern. Jetzt steht mein verschriebenes Medikament zur Abholung bereit. Sorgfältigst eingetütet, verklebt und mit meinem Namen darauf.
Zu Beginn meiner Islandzeit musste ich mich von jedem Arzt- und Apothekenbesuch erst einmal erholen, in Anbetracht der vergleichsweise hohen Summen, die ich dort regelmäßig hinterließ. Je mehr ich allerdings an die monatlichen Krankenkassenbeiträge in Deutschland dachte, desto besser gefiel mir die Methode Island. Bislang jedenfalls bin ich sehr gut damit gefahren. Es schadet nämlich gar nicht zu realisieren, was das Doktorspielchen eigentlich kostet.
Gut und schön, aber was macht man eigentlich, wenn man zwar körperlich, nicht jedoch verwaltungstechnisch auf Island zu Hause ist? Wo steht zum Beispiel ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft, der einerseits eine kennitala hat, aber nach deutschem Recht und in Deutschland angestellt ist? Eine Bekannte hatte in dieser Hinsicht ihr ganz eigenes Erlebnis, als sie sich nach Kräften darum bemühte, ihre auf Island geborene Tochter sowohl auf die Warteliste der städtischen Kindergärten zu befördern als auch in die gesetzliche Krankenversicherung. Brav wurden die Angaben von den jeweiligen Amtsstellen entgegengenommen, doch zwei Wochen später erhielt sie die Mitteilung, dass das Mädchen nicht registriert werden könne. Seine kennitala enthalte nämlich keinerlei persönliche Daten und das Kind würde deswegen im Nationalregister wie eine Vollwaise beziehungsweise als Mutter/ Vater seiner selbst geführt … Die leicht verwirrte Mutter wurde nun gebeten, eine Aufenthaltsgenehmigung für die Kleine beim isländischen Einwohnermeldeamt zu beantragen. Nur so könne man die Daten richtig erfassen und die Anträge bearbeiten. Dort erhielt sie jedoch die Auskunft, dass das nicht möglich sei. Die Behörden-Odyssee ging weiter. Isländisches Außenministerium, deutsche Krankenkasse … und wieder zurück nach Island. Irgendwann erhielt die arme Frau dann einen Anruf von der Stadt Reykjavík mit der Entwarnung: das Mädchen könne zwecks Datenschutz durchaus auch mit einer „unsichtbaren“ kennitala „bearbeitet“ werden … Fluch oder Segen des isländischen Verwaltungssystems? Letztendlich war meine Botschafts-Angestellte trotz gewisser Nervenverluste doch wieder mit Island versöhnt – dank der Hilfsbereitschaft, des Verständnisses und Entgegenkommens, das sie von Seiten der isländischen Behörden erfahren hatte. „Gegen Menschlichkeit ist eben keine Bürokratie gewachsen.“
Besagtes Nationalregister, in dem alle Bürger Islands verzeichnet sind, war bis vor ein paar Jahren öffentlich zugänglich. Jeder konnte es einsehen, auch außerhalb von Island.
Weitere Kostenlose Bücher