Zwischen Licht und Dunkel
vermeiden. Es dauerte schon manches Mal länger, bis irgendetwas seinen Weg auf die Insel fand – sei es die Zitrone oder die Globalisierung. Doch war es erst einmal angekommen, gab es kein Halten mehr.
Die Kunde von Kraft und Macht des isländischen Wassers ist auch jenseits der Inselgrenzen kein Geheimnis mehr. Das Ausland hat längst mehr als nur ein Auge darauf geworfen. Insbesondere Aluminium verarbeitende Unternehmen fassten hier bereits Fuß. Nicht etwa dass es aus Islands Boden Aluminium zu holen gäbe. Der Rohstoff wird importiert, aus Australien etwa, um ihn auf Island zu schmelzen. Auch für Computer- und Internet-Giganten wie Microsoft, Yahoo! oder Google könnte die Nordatlantikinsel eine Überlegung wert sein – als potentieller Rechenzentrums-Standort. Kostengünstiger Strom in rauhen Mengen, eine geeignete Infrastruktur und die relativ sichere Lage zwischen Nordamerika und Resteuropa.
Tatsächlich verbraucht die Schwerindustrie mit über 60 % den Löwenanteil der landesintern erzeugten Energie. Für ihre Zwecke wurde im Herbst 2006 der Stausee des Wasserkraftwerkes Kárahnjúkar im Osten der Insel geflutet. Für die Zukunft bedeutet das unter anderem, dass weite, bislang unberührte Hochlandflächen zum Unterwasserdasein verdammt sind und Flussläufe zum Austrocknen. Im Zeichen der Industrie oder besser des Geldes? Hoffentlich sieht so nicht Islands Zukunft aus. Ich jedenfalls möchte von meinem „Heißen Topf“ aus lieber Menschen als Fabriken beobachten.
Wie zehn Ziffern über Sein oder Nichtsein entscheiden
171268-2499. Das bin ich. Rein amtlich betrachtet. Es ist meine kennitala . Personenkennziffer, Identitätszahl oder wie man es sonst nennen mag. Bleiben wir am besten bei kennitala . Wer keine hat oder sie nicht weiß, wird sich schwer tun, auf Island über die Runden zu kommen. Ein Bankkonto eröffnen, eine Überweisung tätigen, den Arbeitslohn ausgezahlt bekommen, ein Auto oder eine Immobilie besitzen, sich in der Volkshochschule oder dem Fitnesscenter einschreiben, einen Arztbesuch tätigen, wählen, ein Buch oder Video ausleihen … Ganz egal, um welches Geschäft es geht: Ohne kennitala wird nichts daraus. Schnell wurde mir deshalb klar, weshalb im Isländisch- Sprachkurs die eigene kennitala für Übungen zum Zahlenlernen herhalten musste. Erst wer sie im Schlaf herunter rattern kann, hat den Test bestanden und damit sein Überleben auf der Nordinsel gesichert. „Was ist deine kennitala ?“ „171268-2499“ „Ursula?“ „Ja.“ Jetzt kann es losgehen.
Folglich gehört es zu den ersten Aktivitäten eines jeden Neuen Isländers , sich eine kennitala zu besorgen. Ich erledigte das im Schnellverfahren, als ich meiner zukünftigen Insel den ersten längeren, knapp dreimonatigen Besuch abstattete und ein Bankkonto benötigte. Auf dem Einwohnermeldeamt füllte ich das passende Formblatt aus und keine zehn Minuten später hatte mich das Nationalregister erfasst. Als 171268-2499 war ich „im System drin“ und mein Leben auf Island konnte beginnen. Meine kennitala wird mir bis zum bitteren Ende auf den Leib geschrieben bleiben.
Unsere in Reykjavík geborene Tochter hatte es noch einfacher als ich: Kaum geschlüpft, hatte sie auch schon (fast) automatisch ihre Nummer weg. Die Geburtsklinik übernimmt es nämlich, den isländischen Behörden einen Neuankömmling zu melden. Ein kluger Schachzug, denn würde man diesen Amtsakt den frischgebackenen Eltern überlassen, könnte er glatt in Vergessenheit geraten. Dass meine lieben Isländer bisweilen an fortgeschrittener Planungslosigkeit leiden, weiß der Leser dieses Buches ja bereits. Und das auch ohne den Ausnahmezustand, den ein neues Familienmitglied bisweilen auszulösen pflegt.
Als allerdings dank der seinerzeit rosigen Wirtschaftslage ganze Scharen von Einwanderern auf der Insel Einzug hielten 1 , ging das kennitala -Ritual des Neuen Isländers offenbar nicht mehr so ruckzuck und reibungslos über die Bühne wie früher, zu „meiner“ Zeit. Der persönliche Weg hinein „ins System“ konnte auf einmal wesentlich mehr Zeit und auch Nerven kosten. So weiß ich von mehreren nicht-isländischen Familien, die wegen überlasteter Behördenmühlen das Nachsehen hatten. Ihre Kinder waren monatelang nummernlos, nur weil die Registrierungs-Anträge am Amt unbearbeitet auf Halde lagen. Für einen der betroffenen Zwerge war es deshalb bis auf weiteres aussichtslos, einen Kindergartenplatz zu ergattern. Und eine andere Familie musste
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