Zwischen Licht und Dunkel

Form ist die schwarze Kreation zu haben. Ob Fisch, Katze, Schnuller oder Totenkopf … selbstverständlich landesintern produziert und am allerliebsten unmittelbar mit Schokolade vergesellschaftet. Schokolierte Lakritzkugeln zum Beispiel. Nirgendwo anders in der Welt begegnete mir bislang eine solche Kombination. Isländische Lakritze sollen natürlich auch besonders gut sein. Ich persönlich kann das nicht beurteilen, da ich mich damit noch nie anfreunden konnte. Aber meine Isländer sind verrückt danach.
    Selbst das traditionelle und ebenfalls heißgeliebte Softeis wird auf Wunsch bis zum Anschlag in Lakritzstückchen gewälzt. Ähnlich wie vor einem Würstchenwagen sind auch Warteschlangen vor der Eisbude an der Tagesordnung. Mir kommt es beinahe so vor, als wäre deren Länge umgekehrt proportional zur Außentemperatur: je kälter desto länger. Der Lohn aller Ansteh-Mühen liegt in einer isländischen Kinderportion, die locker für zwei deutsche Erwachsene reicht.
    Bei solchen Vorlieben muss man sich nicht darüber wundern, dass dem Isländer die fragwürdige Ehre zukommt, in Sachen Zuckerverzehr nicht nur innerhalb der Nordländer Spitzenreiter zu sein – mit durchschnittlich einem knappen Kilo pro Woche oder umgerechnet etwa 140 Gramm täglich. Der Deutsche mit seinen 100 Gramm kommt im Vergleich dazu noch glimpflich weg. Dabei sollte es aber selbst bei ihm nicht mehr als die Hälfte davon sein.
    Solche „erlaubten“ 50 Gramm täglicher zugesetzter Zucker entsprechen ziemlich genau der Menge, die in einem halben Liter Cola versteckt ist. Und davon fließt, wie bereits wiederholt angeklungen ist, mehr als genug die isländischen Kehlen hinunter. Auch die leckeren isländischen Pfannkuchen sind oft mit blankem Zucker gefüllt und aus jeder Bäckertheke leuchten dicke, am liebsten zartrosa Zuckerguss- Schichten von Plunder- und Hefeteilchen. Überhaupt ist isländisches Kaffeegebäck so süß, dass ich nur ein paar Bissen davon essen kann. Nicht nur deshalb bin ich hier ein schlechter Bäckerkunde. Auch das normale Brot erwies sich mir gegenüber schon oft als schnittfest gemachte Luft. Es war so schwach auf der Brust, dass es schon beim bloßen Anblick einer Scheibe Käse oder Schinken in die Knie ging. Ohne vorheriges Toasten zur Steigerung seiner Tragfähigkeit ging gar nichts.
    Mayonnaise zählt ebenfalls zu den beliebten Nahrungsbestandteilen vieler Isländer. Sogenannte Thun- fisch-, Schinken-, Lachs-, Krabben- oder Hummersalate sind weit verbreitet, verdienen nach meinem Dafürhalten allerdings eher die Bezeichnung Mayonnaise- Salat, in Anlehnung an ihre Hauptkomponente. Üppig werden die gehaltvollen Mischungen zwischen Toastbrotschreiben unterschiedlichen Ausmaßes platziert. Außer regulären Sandwiches lassen sich so auch „Brottorten“ zaubern, die pikante Kuchenalternative. Dabei handelt es sich um echte Kunstwerke, die etwa folgendermaßen geschaffen werden: Entweder schneide man ein ganzes Toastbrot der Länge nach in Scheiben oder man besorge sich drei bis fünf spezielle, überdimensionale Brotscheiben von Toastqualität. Auch ein Kaliber von schätzungsweise 30 × 50 cm liegt dabei noch im Rahmen. Diese Riesenscheiben werden im Wechsel mit üppigem Mayonnaise- Salat zu einem Block gestapelt, der anschließend ordentlich mit Mayonnaise „verputzt“ wird. Jetzt darf der Bastler seine künstlerische Ader ausleben, denn die Krönung des Ganzen ist eine üppige Verzierung vorzugsweise mit Zutaten, die auf den Inhalt der Brottorte schließen lassen. Räucherlachsröschen, Schinkenröllchen, Hummerschwänze, gedrehte Gurkenscheiben, Petersiliensträußchen und dergleichen. Geradezu eine Hochzeitstorte. Exakt zu diesem Ereignis werden Brottorten auch serviert. Ebenso bei den familiären Großereignissen Taufe, Konfirmation und Leichenschmaus. Beim „Kaffee- Buffet“ im Anschluss an meine erste isländische Beerdigung kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Für einen Moment war ich mir sogar sicher, mich auf eine Hochzeitsfeier verirrt zu haben. Der Tisch mit süßen und pikanten Leckereien war einfach riesig. Außer den besagten Brottorten fand ich dort reich verzierte Sahne- und Schokokuchen, die leider allesamt binnen Minuten ihre Zier einbüßten. Im Ganzen serviert, ohne vorgeschnittene oder zumindest vormarkierte Portionsstücke schnitt und schlachtete jeder willkürlich an ihnen herum. Tortenstatus haben zudem auch Sahneberge, aus denen sich Einlagen wie Schokopralinen oder frische Beeren