Zwischen Licht und Dunkel
bergen lassen. Die bereits erwähnten Flachkuchen mit hangikjöt -Belag sind ebenso Teil des Pflichtprogramms wie kleinur , das traditionelle isländische Schmalzgebäck. Besonders schnell gilt es zu sein, will man s nittur ergattern, Schnittchen. Diese aufwändig verzierten Häppchen gehen grundsätzlich weg wie die warmen Semmeln. Shrimps mit Zitrone, Roastbeef mit Remoulade, Räucheraal mit Rührei, marinierter Hering mit hartgekochtem Ei, Räucherlachs mit Meerrettichsahne. Lecker, lecker. Zum Anfeuchten des Ganzen gab es Kaffee, gut und reichlich wie immer auf Island, und … Softgetränke.
Was hier dagegen sehr zu wünschen übrig lässt, ist der Obst- und Gemüsekonsum gerade von isländischen Kindern und Jugendlichen. Er zählt zu den niedrigsten innerhalb Europas. Bei den Erwachsenen sieht es auch nicht viel besser aus bei einem Durchschnittskonsum, der nicht einmal die Hälfte der empfohlenen 500 Gramm pro Tag beträgt. Auch wenn es auf Island Obst und Gemüse schon längst in Hülle und Fülle gibt, hat es bisweilen immer noch einen schweren Stand. Nicht jeder kann sich damit anfreunden. Gerade Insulaner der älteren Generation haben ihre Vorbehalte: „Ich weiß nicht einmal, wie Salat aussieht!“ Ich glaube, es fehlt ganz einfach die nötige Tradition in der Gemüsezubereitung.
Diese Esskultur hinterlässt mittlerweile schwere Spuren auf meiner Insel. So belegt Island einen der oberen Plätze auf der weltweiten Übergewichts-Statistik. Insbesondere Kinder, die aus dem Gewichtsrahmen fallen, sind ein zunehmendes Problem der kleinen nördlichen Nation. Ja, das Thema Wohlstandskrankheiten liegt auch auf Island auf dem Diskussions-Tisch. Und die Kosten, die sie für das Gesundheitssystem verursachen. Diabetes im Kindesalter und Fit-Kid-Sportprogramme. Wieder einmal beschleicht mich das Gefühl, dass Island aufgeholt hat und jetzt genau an dem Punkt angekommen ist, an dem Deutschland schon vor geraumer Zeit stand. Die Nahrungsergänzungsmittel, die in rauen Mengen angeboten werden und sich enormer Beliebtheit erfreuen, werden die Lage wahrscheinlich auch nicht mehr retten.
Ein echter Schönheitsfehler im klassischen Bild des stattlichen, gutaussehenden Isländers.
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1 Siehe Kapitel „Eine mit allem – das wahre Nationalgericht“.
Die Flaniermeile
Reykjavíks Innenstadt ist sehr lebendig. Die vielen Cafés sind immer gut besucht. Bei einladenden Wetterbedingungen lässt sich nur mit Geduld und Glück ein Stuhl im Freien ergattern. Dann sind auch sämtliche Stadtwiesen von Sonnengenießern aller Altersklassen dicht belagert, allen voran der „Ostplatz“ Austurvöllur . Eine wichtige Rolle für die Entfaltung der Stadtseele kommt auch dem Laugavegur zu, dem „Weg zu den heißen Quellen“. Die leicht abschüssige Einbahnstraße wird in ihrer Verlängerung zur Stadtmitte hin erst zur Bankastræti , dann zur Austurstræti . In alten Tagen schleppten die Bewohner der Landeshauptstadt ihre schmutzige Wäsche über diesen Pfad ins Laugadalur , das „Tal der heißen Quellen“. Dort wurde dann geschrubbt und gebadet, was das Zeug hielt. Der historische Waschplatz ist noch zu sehen.
Heutzutage ist der Laugavegur zum einen wie geschaffen für Straßenparaden jeglicher Art – oder „Freudengänge“, nimmt man den isländischen Begriff wörtlich. Für den Zug der Homosexuellen im Rahmen der jährlichen Gay-Pride-Tage im August zum Beispiel. Der ist ein Kapitel für sich. Ich merke immer wieder, dass man jenseits der Inselgrenzen nicht so recht weiß, wie man auf meinen Bericht von diesem bunten Treiben reagieren soll. Auf Island jedenfalls ist die Parade eine Attraktion für Jung und Alt, ganz unabhängig von geschlechtlichen Neigungen. Die 80.000 Menschen, die bei der Reykjavíker Schwulen- und Lesbenparade 2009 im Stadtzentrum mitfeierten, sprechen für sich. Offenheit und Toleranz werden hier ohnehin groß geschrieben. Nach meiner Ankunft in der Wahlheimat dauerte es deshalb auch gar nicht lange, bis ich eine ganze Reihe netter Leute persönlich kannte, die mit einem gleichgeschlechtlichen Partner glücklich sind.
Im Herbst führt der jährliche Gang der Hundehalter mit ihren vierbeinigen Freunden den Laugavegur hinunter. Diesen einen Tag ausgenommen, ist Gassigehen dort und in weiten Bereichen des Stadtzentrums tabu. Das macht ein spezielles Verkehrsschild unmissverständlich klar. Einmal im Jahr darf und muss es aber doch sein. Besonders zuschauerund medienwirksam sind dabei
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