Zwischen Licht und Dunkel
Gang in eine vínbúð an. So heißen die etwa fünfzig landesweiten Filialen des staatlichen Alkohol- und Tabakmonopols Áfengis- og tóbaksverslun ríkisins , kurz ÁTVR. Wer im Supermarkt sucht, wird nur Dünnbier finden. Selbst das, was isländisches Pilsner heißt, hat gerade einmal 2,25 % Alkohol und ist folglich nicht wirklich Bier. Alleine macht das Warmtrinken keinen Spaß, daher lädt man sich hierfür Freunde ein oder besucht selber welche. Fairerweise sollte jeder Besucher vorab seinen persönlichen Verbrauch realistisch einschätzen und entsprechende Trinkvorräte selbst mitbringen, ein ungeschriebenes Gesetz, das für viele Partys gilt. Ist die rechte Stimmung aufgekommen, kann es losgehen. Das wird schätzungsweise nach Mitternacht sein. Auf ins Nachtleben! Die Uhrzeit alleine ist für mich bereits Grund genug, dass ich mich mit Weggehen auf Island nicht anfreunden kann. Es war noch nie mein Ding, nächtelang durchzumachen, und schon gar nicht, einen nach dem anderen zu heben. Mit dem massiven Gequalme ist es allerdings seit 2007 auch auf Island vorbei. Seit diesem Stichtag herrscht striktes Rauchverbot in allen Speise- und Unterhaltungslokalen. Da sollte dem gelegentlichen Bier für den Nichtraucher wie mich eigentlich nichts mehr im Wege stehen, aber um zehn Uhr abends herrscht noch gähnende Leere in Reykjavíks Kneipenszene. Dafür sind nach hinten keine Grenzen gesetzt. Als ich eine Zeitlang Wochenend-Frühschicht arbeitete und schon um halb sieben den Dienst antrat, begegneten mir auf dem Weg zur Arbeit fast nur Taxis, die fleißig damit beschäftigt waren, Partygänger nach Hause zu schaffen. Vereinzelt bemühte sich jemand zu Fuß Richtung Bett. Und das Heimkehrer-Gegröle, das mich regelmäßig aus dem Wochenendschlaf reißt, wird mir ein ewiges Ärgernis bleiben.
Hat der routinierte Partygänger die Nacht von Freitag auf Samstag überstanden, geht abends die Prozedur noch einmal von vorne los. Sonntag Vormittag kommt dann auch die Stadt auf dem Zahnfleisch daher. Nicht nur die Überreste auf Gehsteigen und in Winkeln zeugen von der wieder einmal geschlagenen Schlacht. Von einem Stadtbummel am Sonntag Vormittag rate ich deswegen ab. Doch bereits nachmittags ist der Laugavegur wieder einsatzbereit zum Flanieren, zum Sehen und Gesehenwerden.
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1 Siehe Kapitel „Wie gesund is(s)t der Isländer wirklich?“.
Ein Grund zum Feiern
Isländer sind gesellige Menschen, sie feiern gerne. Abgesehen von Angelegenheiten wie Geburtstag oder Konfirmation lassen sie auch keinen der „roten Tage“ aus. Während die kirchlichen Feiertage ganz dem Familienkreis gewidmet sind, schafft es Reykjavík an den staatlichen Feiertagen regelmäßig, seine Straßen mit wahren Menschenmassen zu füllen. Das kann ungefähr so aussehen:
Sumardagurinn fyrsti , der erste Sommertag. Dieser offizielle Feiertag beginnt mit dem Hissen der Nationalflagge und einem speziellen Gruß, dem gleðilegt sumar – frohen Sommer! Die herzerwärmende Floskel darf ruhig noch ein paar Tage länger benutzt werden. Sie tut der Seele so gut. Spätestens nach dem Mittagessen heißt es dann rein in die Stadt mit Kind und Kegel. Der Eintritt in die Reykjavíker Museen ist frei, es werden Stadtführungen angeboten, Rundflüge, Bootsfahrten, Bustouren in die sowie Wanderungen in der Umgebung und vieles mehr. Nach dem alten isländischen Kalender fällt der erste Sommertag immer auf einen Donnerstag zwischen dem 19. und 25. April. Angesichts dieses Datums tut gerade der Nicht-Isländer gut daran, vorsichtshalber nicht mit dem zu rechnen, was er im allgemeinen unter „Sommer“ versteht. Macht nichts, es wird trotzdem gefeiert – oder gerade deswegen. Wussten doch schon die Vorväter, dass die kalte Jahreszeit um diesen Stichtag herum in die (relativ) wärmere übergeht. 10 °C vielleicht? Das könnte nach meiner Schätzung hinkommen. Dem echten Isländer ist das egal. Er zieht ab sofort nur noch T-Shirt an.
Auch andere Aktivitäten pflegen unter den Einheimischen ab dem ersten Sommertag gehäuft aufzutreten. Die Warteschlangen vor sämtlichen Eisbuden des Landes werden noch länger, als sie es ohnehin schon sind. Durch die Lüfte zieht der Duft von gegrilltem Fleisch. Die Grillsaison ist eröffnet. Man muss wissen: Ein Grill ist für den Island-Balkon obligatorisch. Dabei fällt der Apparat meistens so groß aus, wie es der Balkon gerade noch zulässt. Man kann deshalb nur zu dem Schluss kommen, dass ein möglichst
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