Zwischen Licht und Dunkel
den langen Weg herunter von ihrem Domizil in den Bergen zu den Menschen. Schön nacheinander in oben genannter Reihenfolge, jeden Tag einer, beginnend mit dem 12. Dezember, genau dreizehn Tage vor Weihnachten. Am 24. Dezember weilt dann die komplette Brüderschar unter den Menschen. In ihren Anfängen stand die Wilde Dreizehn ihrer Mutter in Sachen Skrupellosigkeit nicht nach. In isländischen Menschenfamilien war es deshalb wohl durchaus üblich, ein unartiges Kind mit einem dieser bösen Buben einzuschüchtern. Er würde gleich kommen und es buchstäblich einsacken. Doch nach und nach stieß sich die Bande ihre Hörner ab. Heute treibt sie es nicht einmal mehr mit ihren lästigen Späßen – Naschen, Klauen und Stören – so wild wie früher. Die Buben wurden direkt zahm. Wahrscheinlich ließen sie sich etwas vom Bild des bärtigen, schenkfreudigen Santa Claus inspirieren, das nach und nach auch auf der Insel im Nordatlantik bekannt wurde. Kaum ein Kind auf Island wird es daher heutzutage versäumen, am Vorabend des 12. bis 24. Dezembers jeweils vor dem Zubettgehen einen Schuh ins Fenster zu stellen. Denn jeder weiß: Wer brav war, findet am nächsten Morgen eine kleine Leckerei darin, geliefert vom Weihnachtsmann des entsprechenden Tages. Für unartige Kinder kann die Schuh-Gabe dagegen auch einmal als Kartoffel ausfallen, die je nach Schwere des Vergehens angefault ist. In Kindergartenkreisen dürften die morgendlichen Funde eines der heißesten Dezember-Themen sein. Am 25. Dezember macht sich der erste Weihnachtsmann wieder auf den Heimweg, und von da an jeden Tag ein weiterer, so wie sie gekommen waren. Am dreizehnten Tag nach dem Fest tritt der letzte ab, am „Dreizehnten“, der dem deutschen Dreikönigstag am 6. Januar entspricht. Danach geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Doch auch Freunde des Adventskalenders nach deutscher Tradition müssen nicht darben. Die schokoladige Variante gibt es mit ziemlicher Sicherheit im nächsten Supermarkt.
Von der Invasion der Weihnachtsmänner abgesehen fühlt sich Weihnachten auf Island eigentlich fast wie in Deutschland an. Beide Länder haben schließlich die gleiche Grundvoraussetzung: das Christentum. Auf Island wurde es im Jahr 1000 nach Christus per Beschluss des Parlaments Alþingi quasi „adoptiert“. Bis dahin war ein Großteil der Bevölkerung den alten nordischen Göttern Óðinn, Þór, Freyja und wie sie alle heißen treu. Aus wirklich freien Stücken ging die religiöse Umorientierung daher nicht über die Bühne. Doch sie war dringend angeraten, wollte man zum einen seine guten Beziehungen zum bereits missionierten Norwegen nicht aufs Spiel setzen. Allein schon aus wirtschaftlicher Sicht konnte es sich Island praktisch nicht leisten, es sich mit diesem wichtigen Handelspartner zu verscherzen. Und ein weiterhin heidnisches Island hätte Norwegen wohl kaum akzeptiert. Auch an einem anderen Argument war nicht zu rütteln: Zwei Religionen in einem Land würden zu Uneinigkeit führen. Es stand also „Herz“ gegen „Kopf“. Letztendlich gewann der „Kopf“ und das Christentum wurde auf Island offiziell angenommen.
Doch zur gleichen Zeit begab es sich, dass das Land eine große Menge Lava aus seinem Inneren spie, noch dazu ganz in der Nähe der alten Parlamentstätte. Für die Gegner der Parlamentsentscheidung war das der untrügliche Beweis dafür, dass ihre bewährten Götter ganz und gar nicht damit einverstanden waren, einfach abserviert zu werden. Doch die Befürworter und Beschließer konterten geistesgegenwärtig: „Und worauf waren die Götter zornig, als all die anderen, älteren Lavafelder entstanden?“ Heute trägt besagtes Lavafeld den trefflichen Namen Christenheitslava. Es liegt nur etwa eine halbe Fahrstunde östlich von Reykjavík auf der Ringstraße Nummer eins. Wer sich auf den Weg nach Hveragerði macht, wird es durchqueren.
Heute gehören etwa 80 % aller Isländer der evangelisch- lutherischen Staatskirche þjóðkirkjan an. Nicht dass sie große Kirchgänger wären, das sind sie sogar ganz gewiss nicht. Dieses Thema gehen meine Insulaner so gelassen an wie vieles andere auch, vom unbändigen Nationalstolz natürlich abgesehen. Spätestens mit der Ankunft der Neuen Isländer aus allen Winkeln dieser Welt 1 hielt eine Vielfalt von Glaubensrichtungen ihren Einzug auf die Insel. Buddhisten, Baptisten und Betanier, Moslems, Pfingstgemeindler und Zeugen Jehovas. Über dreißig verschiedene Religionsvarianten sind beim
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