Zwischen Licht und Dunkel
Malía bestanden den Sprachtest bereits. Valgard, Antonio und Jamie fielen dagegen durch.
Anglizismen dürften der Sprachkommission ein besonderer Dorn im Auge sein. Gerne wird deshalb für sie eine isländische Variante gesucht. Aus Mountainbike und Comic wurden zum Beispiel Bergfahrrad und Bildergeschichte. Das eine oder andere Wörtchen ist allerdings so hartnäckig, dass es sich beim besten Willen aus dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht austreiben lässt. Dann verändert sich oft wenigstens seine Schreibweise. Das kann durchaus gewöhnungsbedürftig aussehen. So zum Beispiel: Wenn ich von meinem djobb nach Hause komme, höre ich gerne Musik, insbesondere blús und djass . Dazu knabbere ich kornflex und trinke ein Glas djús . In hamborgari dagegen, der isländischen Schreibweise des Fast Food- Hamburgers, ist das Original sofort zu erkennen. Die Pizza darf sogar ganz und gar eine solche bleiben, obwohl sie genau genommen ein Flachbrot ist. Ob diese sprachliche Toleranz darin begründet liegt, dass Hamburger und Pizza eine sehr tragende Rolle im isländischen Ernährungsplan spielen? 1 Das ist wenigstens meine Theorie. Die Pizza überstand eine ganz andere Revolution unbeschadet. Vor ein paar Jahrzehnten wurde nämlich der Buchstabe „z“ aus dem isländischen Alphabet offiziell verbannt, da er ohnehin wie ein „s“ gesprochen wurde. Trotzdem wurde das berühmte italienische Gericht nicht zur Pissa – ein Wort übrigens, das im isländischen Sprachgebrauch ohnehin längst vorhanden ist und genau die deutsche Bedeutung hat, die sein Klang nahelegt. Guten Appetit!
Anfangs überraschte es mich, dass ich verhältnismäßig oft die Bedeutung von Wörtern auf Anhieb erfassen konnte, die mir noch nie zuvor begegnet waren. Besonders zusammengesetzte Hauptwörter lassen sich direkt aus dem Isländischen ins Deutsche übertragen. Vor-Bild, Fuß-Pilz, Lebens-Abend, Galgen- Humor, Katzen-Wäsche, Feuer-Taufe. Hin und wieder, meistens aus der Not heraus, riskiere ich den Versuch und bastle mir selbst ein Wort zusammen. Und siehe da, mehr als einmal traf ich damit den Nagel schon haargenau auf den Kopf.
Sogar extra lange Wortkreationen lassen sich gut in den Griff bekommen. Vorausgesetzt man weiß, wo ein Wortbestandteil aufhört und der nächste beginnt. Für derartige Übungen bieten sich an: das Kultusministerium Menntamálaráðuneytið , der Florist Blómaskreytingafræðingurinn oder die Weltgesundheitsorganisation Alþjóðaheilbrigðismálastofnunin . Vertrautheit erwecken außerdem viele Sprichwörter und Redewendungen. Perlen vor die Säue werfen. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. In den sauren Apfel beißen. Das Tüpfelchen auf dem „i“. Den Teufel an die Wand malen. Jemanden um den Finger wickeln. Grünes Licht geben. Am Herzen liegen. All das und noch viel mehr gibt es so gut wie wortwörtlich und gleichbedeutend im Isländischen.
Vergeblich wird man im deutschen Sprachschatz allerdings nach der Rosine im Wurstende suchen, dem absolut Besten an einer Sache. Wenn etwas wie der Teufel aus dem Schafsbein kommt, dann ereignet es sich völlig unerwartet. Schon mal mit dem Papst Schach gespielt? So dezent lässt sich ein größeres Geschäft auf der Toilette umschreiben. Aber Vorsicht, auch zu echten Missverständnissen kann es kommen: Den Patienten und das (Brat)hähnchen unterscheidet nur ein einziger Buchstabe. Und ein isländischer Landwirt mit einhundert kindur zeichnet sich keineswegs automatisch durch überdurchschnittliche Vertrautheit mit dem weiblichen Geschlecht aus. Kind bedeutet nämlich Schaf.
Bis es bei mir so einigermaßen klappte mit der neuen Sprache, „floss viel Wasser zum Meer“, wie der Isländer sagen würde. Erstaunlich schnell konnte ich Geschriebenes entziffern, nach etwa einem Jahr mich dann verständlich machen. Bis ich die meisten Antworten auf meine Fragen verstand, gingen noch ein paar Monate mehr ins Land. Nach ungefähr zwei Jahren hatte sich dann die innere Befriedigung eingestellt, einigermaßen mitzuhalten, das heißt auch einer Unterhaltung unter Isländern zumindest im Groben folgen und selbst etwas beitragen zu können. Immer wieder ermutigte ich mich auf dem Weg dorthin mit der Gewissheit, in der großen weiten Welt einer der ganz wenigen zu sein, die mit Isländisch überhaupt etwas anfangen können. Ist das etwa nichts? Mein erklärtes Ziel war es, mich mit meinem Schwiegerpapa unterhalten zu können, der kaum Englisch und überhaupt kein Deutsch spricht.
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