Zwischen Mond und Versprechen
verbesserte er sich. » Aber als rein objektiver Beobachter, der weiß, was die durchschnittliche junge Frau an Männern attraktiv findet, erkenne ich, welche maskulinen Attribute Jessie an Derek Jamieson schätzt « , erklärte er. Er wischte sich über die Stirn und atmete tief ein.
» Ach, hör schon auf, darüber zu reden, Smith. Du weißt, ich kriege dann nicht genug… « , erwiderte ich grinsend.
Jaikin und Hascal lachten sich halb tot.
Smith sah ein bisschen pikiert drein.
Pietr hatte sich umgedreht und das Theater verfolgt, was ich tunlichst zu ignorieren versuchte. Wir spielten dieses Flirtspiel seit der Neunten, als wir alle zu diesem Sozialpraktikum eingeteilt worden waren. Ich probierte die albernsten Sprüche an ihnen aus und sie gaben mit gleicher Münze zurück und wir wälzten uns vor Lachen, bis der Bus am Goldenen Oktober vorfuhr.
Die Jungs lenkten mich von allem anderen ab. Sie waren clever und schräg und– das war das Wichtigste– sie waren ungefährlich. Nach der Abschlussprüfung würden sie im Silicon Valley untertauchen und ich– ich würde versuchen, mir ein Leben jenseits von Junction aufzubauen.
» Komm schon, Smith, sag doch mal– Algorithmus « , schnurrte ich mir rollendem R und lehnte mich zurück. Jaikin und Hascal kringelten sich vor Lachen. Smith verzog seinen Mund zu einem Grinsen.
Der Bus hielt.
» Wir sind da « , verkündete Pietr und stieg aus.
» Gibt er immer das Offensichtliche zum Besten? « , fragte Smith und rückte seine Brille zurecht.
» Bis jetzt schon « , erwiderte ich schulterzuckend mit einem Blick auf Pietr.
Dieser sah auf mich herab. » Ich habe festgestellt, dass das Offensichtliche allzu oft übersehen wird. «
Hascal grinste. » Und gesunder Menschenverstand liegt auch nicht immer auf der Hand. « Er schniefte und putzte sich die Nase.
» Schon gut « , sagte ich und winkte abwehrend.
» Endlich frische Luft « , flüsterte Hascal.
» Du siehst schon wieder besser aus « , sagte ich mitfühlend.
Pietr blieb auf dem Parkplatz stehen und betrachtete die Backsteinfassade, die den Wohnbereich des Altenheims schmückte. Ich fragte mich flüchtig, was er tatsächlich sah, und drehte mich um, um selbst einen Blick auf das Gebäude zu werfen. So viel ich wusste, war es ein typischer Bau aus den 70er-Jahren, rot, wie Ziegel eben rot sind. An manchen Stellen hatte der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen, Ecken und Kanten hatten schon bessere Tage gesehen. Aber die Einrichtung war gut in Schuss und der Umgang mit den Bewohnern liebevoll. Ich hoffte, dass Pietr das auch so sehen würde.
» Also, was machen wir hier? « , fragte Pietr. Er warf einen Blick auf sein Handy. Schon wieder die Uhr.
Ich sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. » Wir tragen dazu bei, die Lebensqualität der Menschen hier zu verbessern. «
» Hast du das aus einer Broschüre? « , fragte er. » Klingt gut, aber was machen wir wirklich? Wie lang müssen wir bleiben? Ich habe auch noch anderes zu tun… «
» Hoffentlich bringt dich da drin jemand zum Schweigen und du merkst, dass wir nicht einfach… ach was! « , rief ich empört. » Wir leben nicht nur für uns selbst « , fügte ich scharf hinzu.
Hascal legte einen Arm um mich und zog mich weiter. » Das ist Jessies neues Lebensmotto « , erklärte er.
Ich begriff sofort, dass Hascal mit » neu « eigentlich » seit dem Unfall « meinte.
» Und was war dein altes Motto? « , fragte Pietr.
Pietr nerven. » Ich hatte keins « , gestand ich.
Madge begrüßte uns am Tierheimbus in der Nähe des Haupteingangs. Das Tierheim lieh uns jede Woche ein paar seiner Schützlinge aus, mit denen wir dann die Runde machten. Madge hatte nichts Schinkenähnliches mehr an sich. Sie lächelte und zupfte an einer Leine, die sie um ihre Hand gewickelt hatte. » Das ist Tag « , sagte sie. Ein kleiner Boxer kam mit tapsenden Schritten hinter ihr zum Vorschein.
» Wow! « , rief ich und sah in seine vorquellenden Augen. Seine Zungenspitze schaute unter der eingedatschten Nase hervor. Er sah aus, als sei er mit dem Gesicht gegen einen Zaunpfahl gelaufen. Und zwar nicht nur einmal. » Er ist echt… «
Pietr fiel mir ins Wort. »… hässlich. «
» Süß « , sagte ich bissig. Ich sah Pietr böse an und tätschelte Tag. » Ich nehme Tag « , schlug ich vor, übernahm von Madge die Leine und hob ihn hoch. Er fühlte sich an, als ob er mit Blei gefüllt wäre. Ich hoffte inständig, dass er nicht mit etwas anderem gefüllt war. Ich
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