Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
nach Büroschluss immer schwach.
Aber abwesend ? Völlig abwesend ? Das würde man um Mitternacht erwarten, aber nicht um halb acht Uhr abends.
»Erzählen Sie mir, weshalb Sie Ihren besten Freund hassen«, forderte Elvid ihn auf.
Streeter erinnerte sich daran, dass dieser Mann verrückt war. Was Elvid vielleicht weitererzählte, würde kein Mensch glauben. Das war ein befreiender Gedanke.
»Tom hat besser ausgesehen, als wir Jungen waren, und er sieht jetzt viel besser aus. Er war in drei Schulmannschaften; der einzige Sport, in dem ich auch nur einigermaßen gut bin, ist Minigolf.«
»Ich glaube nicht, dass es dafür Cheerleaderformationen gibt«, sagte Elvid.
Streeter lächelte grimmig und erwärmte sich allmählich für sein Thema. »Tom ist echt clever, aber er war in der Derry High stinkfaul. Seine Ambitionen, aufs College zu gehen, waren gleich null. Aber wenn seine Noten so schlecht wurden, dass ihm der Ausschluss aus Schulmannschaften drohte, ist er in Panik geraten. Und wer sollte ihm dann helfen?«
»Sie!«, rief Elvid aus. In seiner Stimme schwang joviales Bedauern mit. »Der alte Mr. Zuverlässig. Sie haben ihm Nachhilfe gegeben, was? Vielleicht ein paar Arbeiten selbst geschrieben? Darauf geachtet, die Wörter falsch zu schreiben, die Toms Lehrer bei ihm falsch geschrieben zu sehen erwarteten?«
»Schuldig im Sinne der Anklage. In der Abschlussklasse - in dem Jahr, in dem Tom in Maine als Sportler des Jahres ausgezeichnet wurde - war ich in Wirklichkeit zwei Schüler: Dave Streeter und Tom Goodhugh.«
»Schlimm.«
»Wissen Sie, was noch schlimmer war? Ich hatte damals eine Freundin. Eine Schönheit namens Norma Witten. Dunkelbraunes Haar, ebensolche Augen, makelloser Teint, wundervolle Backenknochen …«
»Traumhafter Busen …«
»In der Tat. Aber vom Sex-Appeal abgesehen …«
»Nicht dass Sie jemals dagegen immun gewesen wären.«
»… habe ich dieses Mädchen geliebt. Wissen Sie, was Tom getan hat?«
»Sie Ihnen gestohlen!«, sagte Elvid empört.
»Korrekt. Die beiden sind sogar zu mir gekommen und haben mir alles gestanden, stellen Sie sich das mal vor.«
»Wie edel!«
»Haben behauptet, sie wären machtlos dagegen gewesen.«
»Haben behauptet, es wäre Liebe , L-I-E-B-E.«
»Ja. Naturgewalt. Diese Sache ist stärker als wir. Und so weiter.«
»Lassen Sie mich raten. Er hat ihr ein Kind gemacht.«
»Ja, das hat er.« Streeter betrachtete wieder seine Schuhe und erinnerte sich an einen bestimmten Rock, den Norma im vorletzten Schuljahr getragen hatte. Er war so geschnitten gewesen, dass er ein kleines Stück des Slips darunter hatte sehen lassen. Das war fast dreißig Jahre her, aber wenn Janet und er sich liebten, rief er sich manchmal dieses Bild ins Gedächtnis zurück. Norma hatte er nie richtig geliebt - jedenfalls nicht bis zum Letzten; das hatte sie ihm verweigert. Aber für Tom Goodhugh war sie gern bereit gewesen, ihr Höschen auszuziehen. Bestimmt gleich beim ersten Mal, als er es verlangt hat.
»Und hat sie schwanger sitzenlassen.«
»Nein.« Streeter seufzte. »Er hat sie geheiratet.«
»Und sich dann scheiden lassen! Vielleicht nachdem er sie grün und blau geschlagen hatte?«
»Noch schlimmer. Sie sind weiterhin verheiratet. Drei Kinder. Wenn man sie im Bassey Park spazieren gehen sieht, halten sie meistens Händchen.«
»Das ist ungefähr die beschissenste Story, die ich je gehört habe. Schlimmer könnte es kaum kommen. Es sei denn…« Elvid sah unter buschigen Augenbrauen hervor scharfsinnig zu Streeter auf. »Es sei denn, Sie müssten feststellen, dass Sie im Eisberg einer lieblosen Ehe eingefroren sind.«
»Durchaus nicht«, sagte Streeter, den diese Vorstellung überraschte. »Ich liebe Janet sehr, und sie liebt mich. Wie sie mir bei dieser Krebssache beigestanden hat, ist ganz außergewöhnlich. Falls es im Universum so etwas wie Harmonie gibt, haben Tom und ich die richtigen Partnerinnen gefunden. Unbedingt. Aber …«
»Aber?« Elvid sah mit entzücktem Eifer zu ihm auf. Streeter spürte, wie seine Fingernägel sich in die Handflächen gruben. Statt nachzulassen, verstärkte er den Druck
noch mehr. Bohrte sie hinein, bis er fühlte, dass Blut heraussickerte. »Aber der Scheißkerl hat sie mir gestohlen !« Das nagte seit Jahren an ihm, und es war ein gutes Gefühl, diese Tatsache hinauszuschreien.
»Das hat er in der Tat, und wir hören nie auf, das Gewünschte zu begehren, ob das nun gut für uns ist oder nicht. Finden Sie nicht auch, Mr.
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