Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Achseln. Irgendwie staunte er darüber, wie leicht es war, solche Dinge einem Fremden anzuvertrauen. Er hatte noch nicht einmal seine Kinder eingeweiht, obwohl Janet natürlich Bescheid wusste.
»Keine großen Chancen?«, fragte Elvid. In seiner Stimme lag einfaches Mitgefühl - nicht mehr und nicht weniger -, und Streeter spürte, wie seine Augen sich mit Tränen füllten. Vor Janet zu weinen war ihm entsetzlich peinlich, und er hatte es nur zweimal getan. Hier, vor diesem Fremden, schien das in Ordnung zu sein. Trotzdem zog er sein Taschentuch aus der Hüfttasche und fuhr sich damit über die Augen. Über dem Flugplatz setzte jetzt ein Sportflugzeug zur Landung an. Vor der roten Sonne wirkte seine Silhouette wie ein schwebendes Kruzifix.
»Gar keine Chance, heißt es«, sagte Streeter. »Also ist die Chemo wohl nur … ich weiß nicht …«
»Augenwischerei?«
Streeter lachte. »Genau das ist sie!«
»Vielleicht sollten Sie daran denken, die Chemo gegen zusätzliche Schmerzmittel einzutauschen. Sie könnten aber auch einen kleinen Handel mit mir abschließen.«
»Wie ich anfangs schon gesagt habe, kann ich nicht wirklich ein Kunde sein, bevor ich weiß, was Sie verkaufen.«
»Na ja, die meisten Leute würden es Schlangenöl nennen«, sagte Elvid lächelnd und wippte hinter seinem Tisch auf den Fußballen. Streeter beobachtete mit gewisser Faszination, dass sein Schatten so lang und krank aussah wie sein eigener, obwohl George Elvid doch pummelig war. Aber wahrscheinlich sah jedermanns Schatten kurz vor Sonnenuntergang krank aus - vor allem im August, wenn das Ende der Tage sich schleichend lange hinauszog und irgendwie nicht ganz angenehm war.
»Ich sehe keine Fläschchen«, sagte Streeter.
Elvid stützte alle zehn Finger auf den Tisch, lehnte sich darauf und wirkte plötzlich geschäftsmäßig. »Ich verkaufe Verlängerungen«, sagte er.
»Was den Namen dieser Straße als hübschen Zufall erscheinen lässt.«
»So habe ich’s noch nie betrachtet, aber wahrscheinlich haben Sie recht. Obwohl manchmal eine Zigarre nur eine Zigarre und ein Zufall nur ein Zufall ist. Jeder will eine Verlängerung, Mr. Streeter. Wären Sie eine junge Frau, die Shopping liebt, würde ich Ihnen eine Kreditverlängerung anbieten. Wären Sie ein Mann mit einem kleinen Penis - Vererbung kann so grausam sein -, würde ich Ihnen eine Pimmelverlängerung anbieten.«
Streeter fand diese Direktheit erstaunlich und erheiternd. Erstmals seit einem Monat - seit der Diagnose - vergaß er, dass er an einer aggressiven und sich rasend schnell ausbreitenden Krebsart litt. »Sie scherzen.«
»Oh, ich bin ein großer Scherzbold, aber übers Geschäft mache ich keine Witze. Ich habe zu meiner Zeit Dutzende von Pimmelverlängerungen verkauft und war in Arizona eine Zeit lang als El Pene Grande bekannt. Ich bin ganz ehrlich, aber zum Glück bin ich weder darauf angewiesen noch erwarte ich, dass Sie das glauben. Kleine Männer wollen oft eine Körperverlängerung. Würden Sie mehr Haar wollen, Mr. Streeter, wäre ich sehr gern bereit, Ihnen eine Haarverlängerung zu verkaufen.«
»Könnte ein Mann mit großer Nase - Sie wissen schon, wie Jimmy Durante - eine kleinere bekommen?«
Elvid schüttelte lächelnd den Kopf. »Jetzt scherzen Sie . Die Antwort lautet nein. Wenn Sie eine Verkleinerung brauchen, müssen Sie anderswo hingehen. Ich bin nur auf Verlängerungen spezialisiert, ein sehr amerikanisches Produkt. Ich habe Liebesverlängerungen, manchmal Liebestränke
genannt, an Verliebte verkauft, Kreditverlängerungen an Abgebrannte - von denen gibt’s bei der jetzigen Wirtschaftslage reichlich -, Zeitverlängerungen an Leute unter Termindruck und einmal eine Augenverlängerung an einen Kerl, der Luftwaffenpilot werden wollte, aber genau wusste, dass er den Sehtest nicht bestehen würde.«
Streeter grinste amüsiert. Eigentlich waren derartige Späße für ihn jetzt außer Reichweite, aber das Leben war voller Überraschungen.
Elvid grinste ebenfalls, als wäre dies ein ausgezeichneter Witz, den sie sich teilten. »Und einmal«, sagte er, »habe ich für einen Maler - sehr begabter Mann -, der dabei war, in paranoide Schizophrenie abzurutschen, eine Realitäts verlängerung bewirkt. Die war teuer.«
»Wie teuer? Darf ich das fragen?«
»Eines seiner Gemälde, das jetzt mein Heim schmückt. Sie würden den Namen kennen; ein berühmter italienischer Renaissancemaler. Sie haben ihn vermutlich studiert, falls Sie im College einen Kurs in
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