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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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heißt, wenn sie sich nicht küssten. Ich hoffte zwar, dass unsere Tat ihm einen solch angenehmen Zeitvertreib nicht verdorben hatte, befürchtete aber, dass dem so war. Dass ich ihn ihm verdorben hatte. Und ich hatte natürlich recht.
    Ich verscheuchte solche Gedanken, indem ich mir sagte, vorerst genüge es, wenn er schlafen konnte. Ich musste noch einmal zum Brunnen hinaus, und das tat ich am besten allein. Unser abgezogenes Bett schien Mord zu schreien. Ich trat an den Kleiderschrank und begutachtete ihre Sachen. Und Frauen besitzen davon üblicherweise nicht wenig. Röcke und Kleider und Blusen und Pullover und Unterwäsche - Letztere zum Teil so kompliziert und seltsam, dass man als Mann nicht einmal weiß, wo hinten und vorn ist. Alles einzupacken wäre ein Fehler gewesen, weil unser Lastwagen noch in der Scheune und der Model T unter der Ulme stand. Sie war zu Fuß weggegangen und hatte nur mitgenommen, was sie tragen konnte. Warum hatte sie nicht den T genommen? Weil ich ihn anspringen gehört und sie am Wegfahren gehindert hätte. Das klang durchaus glaubwürdig. Also … ein einzelner Handkoffer.
    Ich packte hinein, was eine Frau meiner Meinung nach brauchen und was sie nicht zurücklassen wollen würde. Ich
legte ihren wenigen guten Schmuck und das goldgerahmte Bild ihrer Eltern hinein. Ich war im Zweifel wegen der Toilettenartikel im Bad und beschloss, alles bis auf ihren Parfümzerstäuber von Florient und ihre Haarbürste mit dem Hornrücken dazulassen. In ihrem Nachttisch lag ein Neues Testament, das Pastor Hawkins ihr geschenkt hatte, aber ich hatte sie nie darin lesen sehen, weshalb ich es liegen ließ. Aber ich griff nach dem Fläschchen mit den Eisentabletten, die sie bei Regelblutungen genommen hatte.
    Henry schlief noch immer, aber jetzt warf er sich von einer Seite zur anderen, als setzten ihm schlechte Träume zu. Ich beeilte mich, so gut ich konnte, weil ich im Haus sein wollte, wenn er aufwachte. Ich ging um den Stall herum zum Brunnen, stellte den Koffer ab und hob den splittrigen Deckel zum dritten Mal hoch. Gott sei Dank, dass Henry nicht neben mir stand. Gott sei Dank, dass er nicht sehen musste, was ich sah. Ich glaube, es hätte ihn in den Wahnsinn getrieben. Es trieb mich fast in den Wahnsinn.
    Die Matratze war zur Seite geschoben worden. Mein erster Gedanke war, sie hätte sie fortgeschoben, um dann herauszuklettern. Weil sie noch lebte. Noch atmete. Jedenfalls erschien es mir zunächst so. Als mein logisches Denkvermögen eben meinen anfänglichen Schock überwand - als ich anfing, mich zu fragen, welche Art Atmung bewirken konnte, dass das Kleid einer Frau sich nicht nur am Busen, sondern vom Ausschnitt bis zum Saum hob und senkte -, begann ihr Unterkiefer sich zu bewegen, als mühte sie sich verzweifelt ab, etwas zu sagen. Es waren jedoch keine Wörter, die aus ihrem grausig vergrößerten Mund kamen, vielmehr war es eine Ratte, die sich an ihrer Zunge gütlich getan hatte. Zuerst erschien ihr Schwanz. Dann klappte der Unterkiefer weiter auf, und das Tier schob sich rückwärts heraus, wobei es die Krallen der Hinterfüße in Arlettes Kinn grub, um mehr Halt zu haben.

    Die Ratte plumpste in ihren Schoß, worauf eine große Flut ihrer Brüder und Schwestern unter dem Kleid hervorströmte. Eines der Tiere hatte etwas Weißes in den Schnurrbarthaaren - einen kleinen Fetzen von ihrem Schlüpfer, vielleicht auch ihrem Büstenhalter. Ich warf den Koffer nach ihnen. Ich dachte nicht lange darüber nach - mein Verstand toste vor Abscheu und Entsetzen -, sondern tat es einfach. Er landete auf ihren Beinen. Die meisten Nager - möglicherweise alle - wichen ihm mühelos aus. Dann strömten sie in ein rundes schwarzes Loch zurück, das die Matratze (die sie allein durch ihr Gewicht zur Seite geschoben haben mussten) verdeckt hatte, und waren im Nu verschwunden. Ich wusste recht gut, was dieses Loch war: die Öffnung der Rohrleitung, die unsere Viehtränken im Stall mit Wasser versorgt hatte, bis das Sinken des Wasserspiegels sie nutzlos gemacht hatte.
    Ihr Kleid fiel um sie herum zusammen. Die vermeintliche Atmung hörte auf. Aber sie starrte mich an, und was mir anfangs wie ein Clownsgrinsen vorgekommen war, erschien mir jetzt wie ein finsterer Medusenblick. Ich konnte Rattenbisse an den Wangen sehen, und es fehlte eines der Ohrläppchen.
    »Du lieber Gott«, flüsterte ich. »Arlette, es tut mir so leid.«
    Deine Entschuldigung wird nicht angenommen, schien ihr Starren zu sagen. Und wenn

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