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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ließ. Henry war zu sich gekommen und hatte sich aufgerappelt. Nein, viel mehr als nur das. Er hüpfte hinter dem Kuhstall umher, schwenkte die Arme unter dem Sternenhimmel und lachte dabei.
    »Mama drunten im Brunnen, und mir ist’s egal!«, lautete sein Singsang. »Mama drunten im Brunnen, und mir ist’s egal, denn mein Meister ist fo-oort !«
    Ich war mit drei Schritten bei ihm, schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht und hinterließ blutige Fingerabdrücke
auf einer glatten Wange, die noch kein Rasiermesser kannte. »Halt den Mund! Deine Stimme trägt weit! Unsere … Hörst du, Dummkopf? Jetzt kläfft der verdammte Köter wieder.«
    Rex bellte einmal, zweimal, dreimal. Danach Stille. Wir standen da, wobei ich Henrys Schultern umklammerte und den Kopf leicht geneigt hielt. Der Schweiß lief mir ins Genick. Rex blaffte noch einmal, dann ließ er es bleiben. Falls einer der Cotteries davon aufgeschreckt worden war, würde er glauben, dass es einem Waschbären gegolten hatte. Das hoffte ich zumindest.
    »Geh ins Haus«, sagte ich. »Das Schlimmste ist überstanden.«
    »Wirklich, Papa?« Er sah mich ernst an. »Ist es das?«
    »Ja. Alles in Ordnung mit dir? Wirst du noch mal ohnmächtig?«
    »War ich das?«
    »Ja.«
    »Mir fehlt nichts. Ich bin nur … Ich weiß nicht, warum ich so gelacht habe. Ich war durcheinander. Wahrscheinlich aus Erleichterung. Es ist vorbei!« Ein Kichern entkam ihm, und er schlug sich wie ein kleiner Junge, der vor seiner Großmutter versehentlich ein schlimmes Wort gebraucht hat, beide Hände vor den Mund.
    »Ja«, sagte ich. »Es ist vorbei. Wir bleiben hier. Deine Mutter ist nach St. Louis weggelaufen … vielleicht war es auch Chicago … aber wir bleiben hier.«
    »Sie …?« Sein Blick irrlichterte zum Brunnen mit dem Holzdeckel hinüber, der von zwei Latten gestützt wurde, die im Sternenschein irgendwie trostlos grausig wirkten.
    »Ja, Hank, das ist sie.« Seine Mutter hasste es, wenn ich ihn Hank nannte, weil es ihrer Meinung nach ordinär war, aber jetzt konnte sie nichts mehr dagegen machen. »Hat uns einfach sitzenlassen. Das tut uns natürlich leid, aber
inzwischen kann die Arbeit nicht warten. Auch die Schule nicht.«
    »Und ich kann weiter … mit Shannon befreundet bleiben?«
    »Natürlich«, sagte ich. Vor meinem inneren Auge sah ich wieder, wie Arlettes Mittelfinger seinen lüsternen Kreis um ihren Schritt steppte. »Natürlich kannst du das. Aber solltest du jemals den Drang verspüren, Shannon alles zu gestehen …«
    Auf seinem Gesicht erschien ein entsetzter Ausdruck. »Niemals!«
    »Das glaubst du jetzt, und ich bin froh darüber. Aber solltest du ihn eines Tages doch verspüren, musst du eines wissen: Sie würde davonlaufen.«
    »Klar würde sie das«, murmelte er.
    »Geh jetzt ins Haus, und hol die beiden Wascheimer aus der Speisekammer. Am besten auch ein paar Milcheimer aus dem Stall. Füll sie an der Küchenpumpe, und schäum das Wasser mit dem Zeug auf, das sie in der Küche unter dem Ausguss hat.«
    »Soll ich das Wasser heiß machen?«
    Ich hörte meine Mutter sagen: Für Blut immer kaltes Wasser, Wilf. Denk daran.
    »Nicht nötig«, sagte ich. »Ich komme nach, sobald ich den Deckel wieder geschlossen habe.«
    Er wollte sich schon abwenden, packte mich aber stattdessen am Arm. Seine Hände waren erschreckend kalt. »Das darf nie jemand erfahren!«, flüsterte er mir heiser ins Gesicht. »Was wir getan haben, darf nie jemand erfahren!«
    »Das erfährt auch niemand«, sagte ich, was weit kühner klang, als mir zumute war. Einiges war schon fehlgeschlagen, und ich erkannte allmählich, dass eine Tat etwas ganz anderes war, als sie nur zu erträumen.
    »Sie kommt nicht zurück, stimmt’s?«

    »Was?«
    »Sie wird uns doch in Ruhe lassen, oder?« Nur sprach er lassen auf jene ländliche Weise aus, bei der Arlette den Kopf geschüttelt und die Augen verdreht hätte. Erst jetzt, acht Jahre später, fällt mir auf, wie sehr lassen wie hassen klingt.
    »Ja«, sagte ich.
    Aber ich irrte mich.
     
    Ich sah in den Brunnen, und obwohl er nur 7 Meter tief war, konnte ich in jener Neumondnacht nur den blassen Fleck des Quilts ausmachen. Vielleicht war es auch der Kissenbezug. Ich schloss den Deckel wieder, rückte ihn etwas zurecht und ging dann ins Haus zurück. Ich versuchte, den gleichen Weg zu gehen, den wir mit unserem schrecklichen Bündel zurückgelegt hatten, und schlurfte absichtlich, um etwaige Blutspuren zu verwischen. Morgen früh würde ich bessere Arbeit

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