Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Stütze des Schutzdachs hing an einer Kette eine Schöpfkelle. Lars pumpte sie voll, trank sie aus, wobei sein Adamsapfel in seinem dürren, von der Sonne verbrannten
Hals auf und ab hüpfte, füllte sie erneut und bot sie Lester an, der sie so zweifelnd betrachtete, wie ich seine mir hingestreckte Hand gemustert hatte. Dann sah er wieder zu mir herüber. »Vielleicht könnten wir das Wasser drinnen trinken, Mr. James. Dort dürfte es etwas kühler sein.«
»Klar«, stimmte ich zu, »aber ich würde Sie so wenig ins Haus einladen, wie ich Ihnen die Hand schüttele.«
Lars Olsen merkte, woher der Wind blies, und sah zu, dass er zu seinem Lieferwagen zurückkam. Aber zuvor gab er Lester die Schöpfkelle. Mein Besucher trank nicht mit gierigen Zügen wie Lars, sondern mit affektierten kleinen Schlucken. Mit anderen Worten wie ein Anwalt - aber er hörte nicht auf, bevor die Schöpfkelle leer war, und auch das sah einem Anwalt ähnlich. Dann knallte die Fliegengittertür, und Henry, der seine Latzhose trug, kam barfuß aus dem Haus. Sein Blick streifte uns scheinbar völlig desinteressiert - guter Junge! -, dann tat er, was jeder aufgeweckte Farmerjunge gemacht hätte: Er sah zu, wie Lars an seinem Lieferwagen arbeitete, um mit etwas Glück in die Mysterien des Motors eingeweiht zu werden.
Ich setzte mich auf den Holzstoß, den wir vor dem Haus aufgestapelt hatten. »Ich nehme an, dass Sie geschäftlich hier sind. In Sachen meiner Frau.«
»Ganz recht.«
»Na ja, Sie haben eine Erfrischung bekommen, also sollten wir uns jetzt dranmachen. Ich habe noch viel Arbeit vor mir, und es ist schon drei Uhr nachmittags.«
»Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Das Farmerleben ist schwer.« Er seufzte, als würde er sich da auskennen.
»Stimmt, und eine schwierige Frau kann es noch schwerer machen. Sie kommen vermutlich von ihr, aber ich weiß nicht, warum - wenn es nur um irgendwelchen juristischen Papierkram geht, wäre wohl ein Deputy Sheriff rausgekommen und hätte ihn mir zugestellt.«
Er sah mich überrascht an. »Ihre Frau hat mich nicht hergeschickt, Mr. James. Eigentlich bin ich rausgekommen, um sie hier anzutreffen .«
Das Ganze glich einem Bühnenstück, und das war mein Stichwort, den Überraschten zu spielen. Und dann glucksend zu lachen, weil in der Regieanweisung als Nächstes glucksendes Lachen stand. »Das ist der beste Beweis.«
»Wofür?«
»In meiner Kindheit hatten wir einen Nachbarn, einen widerlichen alten Kerl namens Bradlee. Alle Leute haben ihn Paps Bradlee genannt.«
»Mr. James …«
»Mein Vater, der manchmal geschäftlich mit ihm zu tun hatte, hat mich ein paarmal mitgenommen. Mit Pferd und Wagen, wie’s noch üblich war. Bei ihren Geschäften ist es um Saatmais gegangen, zumindest im Frühjahr, aber manchmal haben sie auch Werkzeug getauscht. Damals hat es noch keinen Versandhandel gegeben, und ein gutes Werkzeug konnte die Runde durch die ganze County machen, bevor es wieder heimfand.«
»Mr. James, ich sehe nicht ganz …«
»Und immer wenn wir zu dem alten Kerl gefahren sind, hat meine Mama mich aufgefordert, wegzuhören, weil jedes zweite Wort aus Paps Bradlees Mund ein Fluch oder eine Zote war.« Diese Sache fing an, mir auf säuerliche Weise Spaß zu machen. »Also habe ich natürlich umso aufmerksamer zugehört. Einen von Paps Bradlees Lieblingssprüchen weiß ich noch gut: ›Besteig keine Stute ohne Zügel, denn man weiß nie, wohin das Miststück rennt.‹«
»Erwarten Sie von mir, dass ich das verstehe?«
»Wohin, glauben Sie denn, ist mein Miststück gerannt, Mr. Lester?«
»Soll das heißen, dass Ihre Frau …?«
»Sie ist abgehauen, Mr. Lester. Hat sich aus dem Staub gemacht. Sich französisch empfohlen. Die Fliege gemacht. Als eifriger Leser, der sich für amerikanische Umgangssprache interessiert, fallen mir jede Menge solcher Ausdrücke ein. Lars jedoch - wie die meisten anderen Hemingforder - würde nur sagen: ›Sie ist weggelaufen und hat ihn sitzenlassen‹, wenn die Nachricht die Runde macht. Oder ihn und den Jungen, um genau zu sein. Ich dachte natürlich, sie würde zu ihren tierlieben Freunden bei der Farrington Company gehen, und ich würde als Nächstes die Mitteilung erhalten, dass sie das Land ihres Vaters verkaufen will.«
»Das will sie allerdings.«
»Hat sie den Vertrag schon unterschrieben? Dann müsste ich wohl vor Gericht gehen.«
»Das hat sie noch nicht getan. Sollte sie das jedoch, möchte ich Ihnen schon jetzt davon abraten, einen
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