Zwischen Olivenhainen (German Edition)
anderen Angelegenheiten.“
„Du findest also, ich sollte am Herd stehen, kochen, ab und zu mit dir ausgehen und dich niemals nach deinen Geschäften und den Vorgängen in der ‚Familie‘ fragen? Ach nein, wahrscheinlich wirst du mir eine heile Welt vorspielen und –“ Das hätte sie nicht sagen sollen. Verdammt! Der Ausdruck auf seinem schönen Gesicht wirkte so verletzt, dass sie für einen Moment dachte, er würde sich abwenden und sie hier draußen alleine sitzen lassen. Alleine in der warmen Dämmerung, das Zirpen der Grillen in den Ohren und den Geschmack von Oliven auf der Zunge.
„Du hast eindeutig zu viele Filme gesehen“, murmelte er schließlich etwas gefasster. „Was glaubst du, warum ich dich zurückgeholt habe? Ich könnte es dir schriftlich geben – oder vielleicht sollte ich dich heiraten –“
„WAS?!“
„War nur ein Scherz“, sagte er schnell, doch irgendwie klang er seltsam, als er das sagte.
„Damit macht man keine Scherze“, sagte Leslie mit zittriger Stimme.
„Du hast recht, scusi “, murmelte er und senkte den Blick. Eine ganze Weile schwiegen sie. Die schmalen Eidechsen auf der niedrigen Trockensteinmauer, die die Terrasse vom Garten trennte, waren längst verschwunden, zusammen mit den heißen Strahlen der sizilianischen Sonne. Es war sogar fast ein wenig kühl geworden.
„Ich bin müde“, sagte Raffaello irgendwann und stand auf. „Magst du mit hochkommen?“ Hin und hergerissen sah sie zu ihm auf. Sie dachte an den ersten Abend, den sie genau hier an diesem Mühlstein mit ihm verbracht hatte. An ihr erstes Mal mit ihm. Sie schüttelte den Kopf.
„Später“, murmelte sie. Vielleicht.
„ Buona notte “, sagte er leise, küsste sie auf den Mund, dann war er im Haus verschwunden.
Leslie blieb draußen sitzen. Sie würde sich erst noch daran gewöhnen müssen, mit ihm unter einem Dach zu wohnen. Es war anders als vorher. Anders als die Zeit, in der er sie immer abgeholt und danach wieder zu Anne gebracht hatte. So viel verwirrender und das machte sie ein wenig unsicher.
Als sie irgendwann weit nach Mitternacht zu ihm ins Bett kroch, schlief er tief und fest. Und schnarchte sogar ein kleines bisschen. Sie verbrachte die Augenblicke, bis sie einschlief, damit, ihn einfach nur zu betrachten und darüber nachzudenken, welche Gedanken, welche Pläne oder Geschäftsideen hinter seiner perfekten Fassade lauerten. Vielleicht auch Mordgedanken. Und welche Verbrechen er begangen haben mochte, er, der so seelenruhig und unschuldig neben ihr schlief. Seltsamerweise schreckte sie das nicht ab – dazu war es zu gegensätzlich.
42
Leslie erwachte früh am nächsten Morgen. Die Sonne ging gerade erst auf, doch die Hitze des herannahenden Tages lag schon in der Luft. Es war ungewöhnlich warm im Zimmer, und als Leslie sich aufsetzte, bemerkte sie, dass die Tür zum Balkon weit geöffnet war. Doch Raffaello war nirgends zu sehen. Gähnend rappelte sie sich auf, um das Fenster zu schließen, denn die Hitze kroch allmählich in alle Ecken des Schlafzimmers, und schon einige Minuten später verspürte sie die wunderbare Wirkung der Klimaanlage. Schläfrig tapste Leslie hinunter in die Küche.
Auch dort war er nirgends zu sehen. Nur eine halb leere Tasse mit – dem Geruch nach – furchtbar starkem Kaffee, stand auf dem Mahagonitisch, daneben eine angefangene Tüte Cantuccini . Scheinbar war Raffaello in aller Frühe und in aller Eile verschwunden. Eigentlich hätte sie sich einreden sollen, dass sie sich langsam daran gewöhnen musste, dass er kam und ging, wann er wollte, doch irgendwie war da auch Enttäuschung. Konnte er nicht ein einziges Mal neben ihr liegen, wenn sie aufwachte? Aber wahrscheinlich gehörte diese Ruhelosigkeit zu seinem Mafiosoleben. Wahrscheinlich hatte er einen dringenden Anruf bekommen und war dann eilig aufgebrochen, um seine Verbrecherpflichten zu erfüllen.
Um sich abzulenken, griff Leslie nach der Tüte, die Raffaello unverschlossen auf dem Tisch zurückgelassen hatte, und fischte einen Keks heraus. Ein bisschen zu hart war er, aber das machte nichts. Sie liebte den süßen Geschmack und die Mandeln. Sie nahm sich noch einen zweiten und ging dann, nur mit Raffaellos blauem Hemd bekleidet, das ihr inzwischen auch als Nachthemd diente, auf die massive Eingangstür zu. Ein bisschen frische Luft würde nicht schaden. Sie war verschlossen. Energisch rüttelte Leslie an der Tür, doch es tat sich nichts. Seufzend durchquerte sie das Wohnzimmer
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