Zwischen Pflicht und Sehnsucht
„Wovon spricht er?“
„Nicht alles“, sagte Cranbourne nur.
„Deine Eltern haben dir Geld hinterlassen“, fiel Charles ein. „Es sollte deine Mitgift sein.“
Sophie war fast erleichtert. „Nein. Ich wurde im Testament nicht erwähnt. Ihr Besitz ging an das Reedereiunternehmen der Familie, und ich bekam dafür ihre Anteile am Geschäft. Ich erhalte jedes Quartal Ausschüttungen.“
„Ich kenne die Details nicht, aber es gab eine große Mitgift. Achtzigtausend Pfund. Wenn du nicht heiratest, bevor du fünfundzwanzig wirst, geht sie an ihn.“ Er deutete auf ihren Onkel. „Ich habe jedoch den Verdacht, dass er sie gestohlen hat.“
„Nicht gestohlen“, flüsterte Cranbourne. „Ausgegeben. Zum Wohle unseres Landes verwendet. Was glauben Sie, was es kostet, Napoleons Leute zu bestechen?“ Seine Stimme klang hart, und sein Atem rasselte nun lauter.
Achtzigtausend Pfund. Sophie dachte daran, was sie mit einer solchen Summe hätte tun können. Krankenhäuser, Schulen. Was sie für Mr. Darvey und die Arbeiter in der Werkstatt hätte tun können. Dann drang das Wort in ihr Bewusstsein vor. Mitgift. Das Geld hätte sowieso nicht ihr gehört.
„Ich brauche es nicht“, sagte sie voller Überzeugung. „Ich bin auch ohne es gut ausgekommen.“
„Ja, Sie sind hervorragend zurechtgekommen, Liebes“, flüsterte Lady Dayle durch ihre Tränen hindurch und nahm ihre Hand. Sophie hielt sich an ihr fest und schöpfte neue Kraft.
„Unglücklicherweise hat er dir mehr genommen als nur Geld“, sagte Charles erbittert. Sophie wollte nicht noch mehr hören.
„Denk daran, wie er hier in der Stadt gegen mich intrigiert hat. Nicht nur die Zeitungen, auch die Gerüchte, das Gerede, die Andeutungen.“ Er sah Sophie an. „Ich glaube, er hat einen ähnlichen Feldzug gegen dich in Blackford Chase geführt. Um dich als Heiratskandidatin unmöglich zu machen.“
Sicherlich nicht. Nicht mal ihr Onkel könnte so grausam sein. Und doch. All die Schmähungen, die Ablehnung, die Qual, immer ein Außenseiter zu sein. Sie konnte ihn nur wortlos anstarren.
„Ich bereue es nicht“, ächzte er. „Es hat sie geformt! Sehen Sie sie an. Das Mädchen hat Mut, Kraft.“
Lady Dayle erhob sich und bereitete der Quälerei schließlich ein Ende. „Das ist genug. Ich bringe Ihnen Ihre Medizin, Lord Cranbourne. Wir anderen werden später über all das sprechen.“
Sophie verließ eilig den Raum, ohne auf Charles zu warten. Wie konnte sie ihm noch ins Gesicht sehen, nachdem sie wusste, was ihre Freundschaft ihn gekostet hatte? Sie musste an die frische Luft, wo sich vielleicht wenigstens etwas von ihrer Aufgewühltheit verflüchtigen konnte.
Die Küchentür war wieder verschlossen. Sie schob den Riegel zurück und trat hinaus, wobei ihr der riesige emotionale Unterschied zu letzter Nacht bewusst wurde, als sie in den Garten getreten war. Verärgert, dass die Schönheit des Abends nicht verschwunden war und alles so unverändert aussah, obwohl ihr Leben in tausend Scherben lag, lief sie durch die Dunkelheit.
Zielsicher trugen ihre Füße sie zu Lady Dayles Pavillon, und sie brach in Tränen aus, als sie ihn betrat. Sie stolperte zur nächsten Säule und lehnte sich an den kühlen Marmor. Schluchzend hielt sie sich daran fest, als würde die Wucht ihres Zorns und Kummers sie sonst fortreißen. Auch nachdem der Sturm der Tränen abgeflaut war, blieb sie einfach so angelehnt stehen.
Dann hörte sie Charles’ Schritte, und schon war er ganz nah bei ihr. Er schlang die Arme um sie, und sie fühlte sich wieder beschützt und geborgen. Sie lehnte sich an ihn. Sie wollte nur vergessen, alles vergessen und hier bleiben, für immer sicher in seinen Armen.
„Es tut mir so furchtbar leid“, flüsterte er.
„Was sollte dir denn leidtun, Charles? Nichts außer der Tatsache, dass du mir begegnet bist. Ich bin es, der es leidtut. Es scheint, dass ich von Anfang an nur Ärger verursacht habe.“
„So etwas darfst du nicht denken“, widersprach er. „Lass uns einfach froh sein, dass es vorbei ist. Jetzt können wir neu anfangen.“
„Vorbei?“ Ihre Stimme klang ihr selbst fremd. „Vorbei ist es wohl kaum. Du kannst dein Leben zurückhaben. Aufdecken, was er dir angetan hat. Tu es mit meinem Segen.“
Sophie hielt inne und verfluchte die niederschmetternde Ironie der Lage. Die Entdeckung der Niedertracht ihres Onkels war die Antwort auf Charles’ Gebete und das Ende ihrer Hoffnung. Diesmal würde der Skandal zu Charles’ Vorteil
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