Zwischen uns die Zeit (German Edition)
kommt ein Neuer an die Schule! Er ist anscheinend gerade erst hergezogen– aus Kalifornien!« Emma ist zwar schon weit in der Welt herumgekommen, aber in den Staaten hat sie abgesehen vom Mittleren Westen noch nicht viel gesehen. In ihrer Vorstellung existiert Kalifornien nur als Klischee und ist genauso skurril wie die Tatsache, dass es hier in Amerika Käse aus der Spraydose gibt oder in Maismehl panierte, frittierte Würstchen auf Spießen. » Was sagst du dazu?«
» Alles was Abwechslung bringt, kann nur gut sein«, antworte ich.
Mir fällt auf, dass keine Musik läuft, was bei Emma eigentlich so gut wie nie vorkommt, wenn sie mit dem Auto unterwegs ist. Ich greife ins Handschuhfach und wühle mich durch die lose darin herumfliegenden CD s, bis meine Fingerspitzen Wildleder ertasten und ich das knallrosa CD -Case zutage fördere, das ich ihr letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt habe.
» Hey, dich scheint diese sensationelle Neuigkeit ja völlig kaltzulassen«, sagt sie fast vorwurfsvoll, während ich durch die Klarsichthüllen blättere, in denen die CD s stecken. » Endlich passiert mal wieder was, Anna! Wir haben keinen neuen Schüler mehr an die Schule bekommen, seit… seit…« Sie trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad, wie sie es immer tut, wenn ihr etwas nicht gleich einfällt.
Ohne aufzusehen, beende ich ihren Satz. » …seit mir.«
» Im Ernst?«
Ich zucke mit den Achseln und nicke. » Ja. Achte Klasse? Pickel und Zahnspange? Das karierte Trägerkleid?« Bei der Erinnerung an das unsägliche Kleid schüttelt es mich. Meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich es anziehe. » Die ›Neue‹ damals, das war ich.«
» Echt?« Emma starrt auf die Straße und denkt angestrengt nach. » Tatsache, du hast recht.« Sie sieht zu mir rüber und kneift mich liebevoll in die Wange. » Umso mehr ein Grund, sich auf den Neuen zu freuen. Dich kennenzulernen war so ungefähr das Beste, was mir im Leben bisher passiert ist. Wenn es dich nicht gäbe, müsste ich auf dem Weg zur Schule immer ganz alleine singen. Apropos. Wenn du dich nicht bald für irgendwas entscheidest, lohnt es sich nicht mehr, wir sind nämlich gleich da. Lass mich mal…« Sie beugt sich über meinen Schoß zum Handschuhfach und zieht die erste CD heraus, die ihr in die Hände fällt. » Vitalogy. Perfekt.«
Emma schiebt das neueste Album von Pearl Jam – wir hören seit drei Monaten fast nichts anderes mehr – in die Anlage und dreht den Ton so laut, wie es geht, ohne dass die Bässe dröhnen. Sie sieht mich lächelnd an und wippt mit dem Kopf zum Takt der Gitarrenakkorde von » Corduroy«, die erst leise, dann in gleichmäßigem Rhythmus immer durchdringender aus den Boxen schallen und schließlich den ganzen Wagen erfüllen. Als das Schlagzeug einsetzt, lehne ich mich in den Sitz zurück, und kurz bevor das Intro zu Ende ist, werfen wir uns einen Blick zu und fangen dann gemeinsam mit Eddi Vedder an zu singen.
The waiting drove me mad … You’re finally here
and I’m a mess …
Voller Inbrunst grölen wir den gesamten Text auswendig mit, und als am Schluss der Instrumentalteil kommt, flippen wir endgültig aus. Ich mache Headbanging und spiele Luftgitarre, während Emma wie wild geworden auf das Lenkrad eintrommelt. Ihre Handflächen klatschen auf das Leder, und als hätte sie unsere Ankunft minutiös choreografiert, verklingen die letzten Akkorde exakt in dem Moment, in dem sie in ihren Stammparkplatz gleitet und den Motor abstellt. » Hey, Pearl Jam spielen im Sommer wieder im Soldier Field Stadion«, sagt sie atemlos. » Es wäre echt cool, wenn dein sommersprossiger bester Freund uns Karten besorgen könnte.«
» Mein sommersprossiger bester Freund hat zufälligerweise einen Namen, den du im Übrigen sehr genau kennst. Und, ja, vielleicht kann Justin uns tatsächlich welche besorgen…«
Sie wirft mir einen ungläubigen Seitenblick zu. » Vielleicht? Komm schon, Justin macht so ziemlich alles, worum du ihn bittest. Der Typ ist total verknallt in dich.«
» Quatsch. Ich bin praktisch mit ihm aufgewachsen. Er ist wie ein Bruder für mich.«
» Sieht er das auch so?«
» Na klar.« Meine Eltern sind eng mit den Reilleys befreundet und Justin und ich waren unsere gesamte Kindheit hindurch unzertrennlich. Dadurch, dass wir mittlerweile nicht mehr auf derselben Schule sind, sehen wir uns nicht mehr ganz so häufig wie früher, aber an unserer Freundschaft hat das nichts geändert.
» Es wäre jedenfalls super, wenn du
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