Zwischen zwei Nächten
möchte es lieber nicht auf ein Wettrinken ankommen lassen.“
„Dein Wasser ist bestimmt längst kalt. Soll ich dir heißes nachgießen?“
„Nein danke, es reicht. Man soll nichts übertreiben.“
Sie griff nach dem Handtuch, doch Anna kam ihr zuvor.
„Ist es dir unangenehm, wenn ich das mache?“
„Nein, aber bitte nicht kitzeln.“
Sie kicherte schon, bevor Anna ihre Füße überhaupt berührte.
„Stell dich nicht so an. Halt still!“
Anna bearbeitete die rauhen Fußsohlen ihrer Freundin mit einer kleinen Raspel, dann cremte sie die Füße dick ein, steckte kleine Wattebäusche zwischen die Zehen und begann, ihre Nägel zu schneiden.
„Wenn du so herumzappelst, schneide ich dich ins Fleisch. Gib endlich Ruhe, rauch von mir aus noch einen Joint, wenn du glaubst, daß dich das entspannt.“
„Um Himmels willen, was hast du jetzt vor?“ kreischte Ann-Marie, als ihre Freundin nach dem Nagellack griff.
„Na, was denn wohl?“
„Ich hasse angemalte Zehennägel.“
„Du hältst jetzt den Mund, verstanden?“
Lachend, aber ohne weiteren Protest ließ Ann-Marie die Prozedur über sich ergehen.
„So, fertig, sieht doch toll aus, gib’s zu.“
Ann-Marie betrachtete skeptisch ihre Füße, so als wären sie nicht mehr ihre eigenen.
„Du könntest jederzeit einen Job als Pediküre bekommen. Du machst das wirklich sehr professionell.“
„Danke für das Kompliment, aber du wirst verstehen, daß das nicht unbedingt mein Traumjob wäre.“
„Aber wenn du nichts anderes findest?“
„Mach dir darüber keine Gedanken, ich werde genug Geld haben. Vielleicht brauchen wir beide überhaupt nie mehr zu arbeiten. Wie gefällt dir diese Vorstellung?“
„Nicht schlecht.“
Ann-Marie schloß die Augen.
Doch jetzt war Anna nicht mehr gewillt, ihre Freundin schlafen zu lassen.
„Möchtest du noch einen Kaffee?“
„Später vielleicht. Laß uns einfach eine halbe Stunde hier liegen und nichts tun.“
„Falls du das aushältst“, fügte sie spöttisch hinzu.
Längst vergessen geglaubte Bilder tauchten auf: Sommerferien, Theaterbesuche, Tanzschule. Da Anna die vornehmste und angeblich beste Tanzschule Wiens besuchte, mußte sich Ann-Marie natürlich auch dort anmelden. Sie quälte ihre Eltern so lange, bis sie schließlich nachgaben. Ein Monatslohn ihres Vaters ging für den Unsinn drauf. Schon nach zwei Wochen fanden sie diesen exklusiven Kreis stinklangweilig und schwänzten die nächsten Stunden. Nächtelang trieben sie sich im Prater herum und brachten es im Flippern zu echter Meisterschaft. Ann-Marie schaffte an einem Abend problemlos ein Dutzend Freispiele. Den Tanzkurs holten sie dann zu Walzerklängen im Stadtpark nach. Auf der Terrasse des Touristencafes, das sie nie von innen sahen, spielte täglich eine Kapelle. Sie tanzten auf den Wegen, der feine Kies knirschte unter ihren hohen Absätzen, und die Luft war erfüllt vom Duft des lila Flieders. Für ihren Linkswalzer ernteten sie Beifall von den hübschen, persischen Studenten, die sich auch die halbe Nacht lang im Park herumtrieben. Aber die beiden Mädchen tanzten nur miteinander. Anna übernahm immer die Führung, und Ann-Marie hatte später Schwierigkeiten, mit männlichen Partnern Schritt zu halten.
„Mach es dir ruhig bequem und raste dich ein bißchen aus, es war ein anstrengender Tag.“
„Ich bin nicht müde“, sagt Ann-Marie trotzig und nimmt ihre Füße vom Couchtisch.
Sein Blick bleibt an ihren Beinen hängen.
„Du wolltest mir doch noch mehr von Anna erzählen.“
„Ja, das ist richtig, aber es fällt mir nicht gerade leicht, von ihr zu reden. Außerdem stellst du mir andauernd die unmöglichsten Fragen, die ich beim besten Willen nicht beantworten kann.“
Er läßt ein paar Minuten verstreichen, bevor er weiterspricht.
„Sie wollte immer nur geliebt werden und war selbst nicht fähig zu lieben. Ihre große Liebe hat sich auf der Leinwand abgespielt. Humphrey Bogart und Gregory Peck waren in ihren Augen die idealen Liebhaber. Ein sterblicher Mann hat diesen Kerlen natürlich nie das Wasser reichen können. Wäre sie ihnen in Wirklichkeit begegnet, hätte sie es mit ihnen bestimmt auch nicht lange ausgehalten. Sie hat sich in eine Scheinwelt geflüchtet und von ihren Träumen gezehrt, aber wehe es ist dann ein Erwachen gekommen. Doch warum erzähle ich dir das alles? Du hast sie ja fast ebenso gut gekannt wie ich. Wir beide waren die einzigen, die sie durchschaut haben, stimmt’s?“
Er nimmt ihr Gesicht
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