Zwischen zwei Nächten
zwischen seine groben Hände und schaut ihr tief in die Augen.
Ann-Marie haßt seine plumpe Vertraulichkeit. Er scheint ihre Abneigung zu spüren und läßt ihr Gesicht wieder los.
Das eigenartige Bild, das er von ihrer Freundin entworfen hat, gefällt ihr gar nicht, obwohl sie ihm in einigen Punkten widerwillig zustimmen muß.
Mehr zu sich selbst als zu ihrer Freundin sagte Ann-Marie: „Weißt du, Anna, ich glaube wir werden beide schön langsam alt und kindisch. Wir stecken mitten in der berüchtigten Midlife-crisis.“
„Wie bitte? Was soll das heißen? Ich hab gedacht, das passiert nur den Männern.“
„Irrtum, da befindest du dich gehörig auf dem Holzweg. Dein Alfred leidet zwar schon seit Jahren darunter, zumindest seitdem ich ihn kenne, aber wahrscheinlich schon seit der Pubertät, doch wir bleiben davon leider auch nicht verschont. Sieh dich doch selbst an, du bist das beste Beispiel. Du willst aussteigen, hast die Nase voll von deinem Mann, deiner Arbeit und deiner ganzen Umgebung. Okay, na und? Das ist doch nichts Besonderes. Es sind immer die Kleinigkeiten, die uns aufregen. In unserem Alter kriegt jeder einmal solche Anwandlungen. Wie oft, glaubst du wohl, habe ich schon alles hinwerfen und abhauen wollen? Aber ich kann doch nicht immer wieder davonlaufen. Ich traue dir nicht ganz über den Weg, meine Liebe. Heute willst du nichts anderes als weg von hier. Und morgen, was willst du morgen? Wir können unsere Vergangenheit nicht einholen. Jedenfalls nicht so, wie du es dir vorstellst. New York ist nicht das Paradies, nicht die Freiheit, sondern ein riesiges, stinkendes Rattenloch, ein verkommenes Drecksnest, ein Eldorado für Börsenspekulanten, Kriminelle und kaputte Individuen, für Leute, die nie eine Chance gehabt haben, aber ewig davon träumen, eine zu bekommen. Wenn ich soviel Geld hätte wie du, würde ich mir ein kleines, weißes Haus am Meer kaufen und den ganzen Tag lang aufs Wasser schauen. Heute ist es das Geschrei der Tauben, aufgescheucht durch einen Hund vielleicht, das mich weckt, aber dann würde es das Gekreische der Möwen sein, die mein Haus umkreisen. Die Orte meiner Sehnsucht und meiner Träume sind hohe Klippen, weißer Sand, nur wenige Meter zwischen Felsen und Meer, das Haus auf der Spitze des Felsens. Ich würde mein Leben immer wieder neu erfinden. Es gibt so viele Personen, die ich sein möchte, nur für einen Tag oder eine Nacht. Ich würde mir einen Traummann zulegen, nein, besser eine Traumfrau. Keine erlebte Geschichte hat je so ein schönes Happy-End gehabt wie meine Träume. Ich würde eine schrullige Alte werden und mich freuen auf jede Nacht. Ich könnte wach bleiben, solange ich Lust habe, und die Tage verschlafen. Ja, diese Idee gefällt mir: Die Nacht zum Tag machen. Ich bevorzuge die Nächte zum Leben.“
„Es wird schon früher dunkel, der Sommer wird sich bald verabschieden.“
Alfred greift nach einer Kerze und zündet sie an.
„Gut so? Anna hat es immer gern hell gehabt, sie hat sich vor der Dunkelheit gefürchtet, aber ich mag diese grelle Deckenbeleuchtung nicht. Wir sind in so vielem unterschiedlicher Ansicht gewesen. Gegensätze ziehen sich nun einmal an.“
„Warum bist du bei ihr geblieben, wenn das Zusammenleben mit ihr so schwierig für dich gewesen ist?“
„Entschuldige, was hast du gesagt?“
„Ich habe gefragt, warum du dich nicht schon früher von ihr getrennt hast?“
Er verzieht abfällig den Mund und meint: „Was für eine Frage! Ich habe sie geliebt. Schon als junger Mann habe ich Anna verehrt, ja geradezu angebetet, meine Bewunderung für sie war grenzenlos, aber das hat ihr anscheinend nicht genügt. Du bist überrascht? Was hast du schon von unserer Beziehung gewußt? Vielleicht hat sie sich in ihren Briefen an dich manchmal über mich beklagt, aber was heißt das schon? Frauen beklagen sich immer bei ihren Freundinnen über ihre Männer. Ich war kein so schlechter Ehemann, wie du denkst. Sicher, ich habe meine Affären gehabt, doch die hat ein jeder, vor allem wenn ihn seine Frau ständig abweist. Ist es so verwerflich, daß ich mich woanders umgesehen habe? Ich bin ein ganz normaler Mann. Glaubst du im Ernst, daß mir diese Trutscherl auch nur das Geringste bedeutet haben? Wie gern hätte ich auf sie verzichtet, wenn Anna nur ein bißchen zugänglicher gewesen wäre. Aber sie hat sich immer mehr von mir zurückgezogen und mich wie ihren Hausmeister behandelt. Nein, nicht einmal das, selbst zu ihm war sie freundlicher.
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