Zwischen zwei Nächten
der Familie, verschrieb. Eine Analyse, die, nach Aussage des Ehemannes, auch nichts half, brach sie vor etwa einem Monat ab.
Die guten Bekannten behaupten, sie hätte sich schon seit längerem in einem manisch-depressiven Zustand befunden.
„Seit ihrer Abtreibung, genauer gesagt. Auch die Art, wie sie sich das Leben genommen hat, weist eindeutig auf einen Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft hin, meint zumindest ihr Analytiker. – Einmal himmelhoch jauchzend und voll verrückter Zukunftspläne, dann wieder völlig am Boden zerstört, ohne jeden Grund …“
Ann-Marie würde sich am liebsten die Ohren zuhalten.
„Sie soll sogar daran gedacht haben, sich aus dem Architekturgeschäft zurückzuziehen, und hat auch schon Verhandlungen über den Verkauf des Büros geführt. Aber anscheinend hat sie diesen Entschluß bald wieder bereut. Paul, der Architekt, dem sie das Büro übergeben wollte, macht sich jedenfalls bittere Vorwürfe, weil er diese verrückte Idee ernstgenommen hat …“
Diese Leute scheinen über Annas Privatleben ja bestens informiert zu sein.
Ann-Marie hört sich ihr Geschwafel schweigend an.
Verlegenes Schweigen. Annas Lächeln wirkte leicht verkrampft.
„Soll ich uns etwas zu essen machen?“
Ann-Marie nickte bloß und folgte ihrer Freundin in die Küche. Sie setzte sich auf den Geschirrspüler und sah zu, wie Anna Thunfisch unter die Maiskörner mischte und einen Becher Sauerrahm darüber leerte. Zum Schluß garnierte sie den Salat noch mit Petersilie. Obwohl sie sich meist streng an Großmutters Kochbuch hielt, war sie eine miserable Köchin. Einmal verwendete sie zu viel Salz, ein anderes Mal zu wenig. Ann-Marie erinnerte sich noch mit Schaudern an die lauwarme Tiefkühlkost, die sie während ihrer Studienzeit immer vorgesetzt bekommen hatte, wenn Anna mit dem Kochen an der Reihe gewesen war.
„Du machst Fortschritte“, lobte sie.
„Pflanz jemand anderen. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß stundenlanges Am-Herd-Stehen eine reine Zeitverschwendung ist. Erstens esse ich liebend gern heiße Leberkässemmeln, und dann gibt es auch noch das Beisel im Nebenhaus. Meistens sorgt jedoch Frau Maricek, die jeden Vormittag kommt, für eine warme Mahlzeit. Heute habe ich ihr freigegeben, um mich ungestört dir widmen zu können.“
Sie zwinkerte ihrer Freundin belustigt zu.
„Aber wenn dir meine Kochkünste nicht genügen, dann können wir ja essen gehen.“
„Nein, nein, der Salat sieht richtig hübsch aus, schön bunt“, betonte Ann-Marie lachend.
Die Küche war hell, freundlich und ebenso praktisch eingerichtet wie die anderen Räume.
Unpersönlich wäre vielleicht das passendere Wort.
Ann-Marie schätzte durchaus den Geschmack ihrer Freundin, obwohl er nicht ihrem eigenen entsprach. Sie behauptete gern, daß sie überhaupt keinen Geschmack hätte. Und die meisten Leute gaben ihr recht. Ihre Vorliebe für farbenfrohe, extravagante Kleidung war nicht zu übersehen. Zu einem weiten, wadenlangen Rock trug sie ein geblümtes Hawaihemd, und um die Mitte hatte sie einen breiten, roten Ledergürtel geschlungen. Ein selbstgebastelter, pyramidenförmiger Glasohrring blitzte unter ihrem stark gekräuselten Haar hervor.
Sie wirkte immer unfrisiert, und ihre Haarfarbe wechselte ständig. Ursprünglich brünett, sah man sie oft mit roter oder blonder Mähne, durchzogen von schwarzen, blauen oder grünen Strähnen. Zu Ehren ihres Wiedersehens mit Anna hatte sie Hennarot, durchsetzt mit Gelb, gewählt. In New York fiel sie nicht auf. Egal, wie sie aussah, keiner drehte sich nach ihr um, außer ein paar liebeshungrigen Idioten vielleicht. Doch in Wien erregte sie beträchtliches Aufsehen. Selbst am Flughafen, wo man eigentlich daran gewöhnt sein mußte, exotisch gewandete Fremdlinge zu sehen, wurde sie unverschämt angestarrt. Sie hatte diese Reaktion vorausgesehen und freute sich diebisch darüber. Ein Zollbeamter bekam Maulsperre, und sein Kollege verlor vor Schreck eine Kontaktlinse, als sie ihn im breitesten Wienerisch ansprach. Sie half ihm beim Suchen und durfte anstandslos passieren.
Als sich die elektronisch gesicherte Tür öffnete, kam Anna hereingestürmt und fiel ihrer Freundin um den Hals. Arm in Arm verließen sie das Flughafengebäude. Anna trug die Reisetasche, in der sich unter anderem Ann-Maries Shit-Ration für die nächsten Tage befand.
Lieber Gott, was gäbe ich jetzt nicht alles für einen Joint, einen ganz winzig kleinen nur.
Doch der liebe Gott scheint für
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